IPN Journal N°8

Liebe Leserinnen, liebe Leser, vor einem Jahr hat wohl niemand damit gerechnet, dass unser tägliches Leben aktuell immer noch von der Corona-Pandemie geprägt sein würde. Die Pandemie hat im Laufe dieses Jahres auch für das IPN veränderte Arbeitsabläufe mit sich gebracht, die zu einer Verschiebung im Erscheinungsrhythmus des IPN Journals geführt haben. Vielleicht ist Ihnen aufgefallen, dass Sie Anfang des Jahres nicht die neue Ausgabe in Ihrem Briefkasten vorgefunden haben? Wir haben nämlich die Winterausgabe des IPN Journals übersprungen und können Ihnen nun eine verfrühte Sommerausgabe liefern. Apropos Briefkasten: Die Ausgabe des IPN Journals, die sie gerade in den Händen halten, ist die letzte, die noch gedruckt wird. Mit der kommen- den Ausgabe wird das IPN Journal nur noch online als E-Publikation erschei- nen. Wir hoffen, dass Sie sich bereits für das Online-Abonnement angemel- det haben. Ihr Abonnement für die gedruckte Ausgabe wird nämlich nicht automatisch umgestellt, siehe Seite 18. Schreiben Sie einfach eine E-Mail an ipnjournal@leibniz-ipn.de, um Ihr Abonnement in ein digitales umzuwandeln. Die Pandemie darf natürlich auch als Thema in dieser Ausgabe nicht fehlen. Wir stellen erste Ergebnisse einer Studie vor, bei der es um die durch Corona ver- ursachten Veränderungsprozesse in Schulen geht. Außerdem gewährt uns Prof. Dr. Köller, Geschäftsführender Wissenschaftlicher Direktor des IPN, im Interview Einblicke in die Arbeit der Leopoldina-Autorengruppe, die in mehreren Empfeh- lungen zu Schulen in der Pandemie Stellung genommen hat. Doch es geht in dieser Ausgabe nicht nur um Corona: Lehrkräfte unter un- seren Leserinnen und Lesern erfahren in einem Artikel, warum es sinnvoll ist, Ängste vor einem Fach bei Schülerinnen und Schülern in den Blick zu nehmen. In einem weiteren werden zahlreiche Projekte vorgestellt, die am IPN zum The- ma Bildung für eine nachhaltige Entwicklung laufen. Es werden übrigens noch Studienteilnehmerinnen und -teilnehmer gesucht. Nur zu! Ein weiterer Beitrag nimmt stereotype Vorstellungen zu Wissenschaft bei Schülerinnen und Schü- lern unter die Lupe, und ein anderer Artikel setzt sich mit dem Verständnis der Evolutionstheorie auseinander. Wir gehen der Frage nach, inwiefern naturwis- senschaftliche Schülerwettbewerbe die Teilnehmerinnen und Teilnehmer darin bestärken, einen naturwissenschaftsbezogenen Beruf zu ergreifen, und auch das Thema Bürgerwissenschaften beschäftigt uns. Vielleicht haben Sie bereits vom IPN-Projekt WTimpact gehört oder haben sich sogar selbst daran beteiligt? Wir stellen Ihnen vor, welche Aspekte die Teilnehmenden an dem Projekt besonders reizen. Alles in allem hoffen wir, dass wir in dieser Ausgabe wieder interessante Themen für Sie zusammengestellt haben. Lesen Sie selbst…wir wünschen Ihnen dabei viel Vergnügen! Wie immer freuen wir uns über Rückmeldungen und Anregungen unter: ipnjournal@leibniz-ipn.de Die Redaktion: Margot Janzen, Knut Neumann, Ute Ringelband

· inhalt · · 4 · Männer in weißen Kitteln: Stereotypen Schülervorstellungen über Forschung begegnen · 9 · Dem Unsichtbaren auf der Spur: Evolution verstehen: Zufall und Wahrscheinlichkeit greifbar machen · 15 · Was man bedenken sollte, wenn man ein systematisches Literaturreview durchführen will. · 18 · Information zum IPN-Journal-Abonnement: zukünftig nur noch digital · 19 · „Die Dampfwalze der Pandemie wurde unterschätzt.“ Im Gespräch mit Prof. Dr. Olaf Köller · 24 · „Daten sammeln reicht mir!” Bürgerwissenschaften: Was treibt Bürger an, sich zu beteiligen? ipn journal no 8 2

· inhalt · · 30 · Schulen sind in der Corona-Krise insgesamt auf gutem Weg: Ergebnisse einer Befragung von Schulleitungen · 35 · Welche fachlichen Anforderungen müssen Teilnehmerin- nen und Teilnehmer internationaler Schülerwettbewerbe erfüllen und inwiefern bestärkt die Teilnahme sie darin, einen Beruf mit Bezug zu den Naturwissenschaften zu ergreifen? · 40 · Wer Angst hat, lernt schlechter: Warum Lehrkräfte sich mit Mathematikangst beschäftigen sollten · 44 · Welche Rolle spielt schulische und außer- schulische Bildung für klimafreundliches Handeln? Der Projektverbund „CLiF@IPN“ stellt sich vor · 54 · Wissenswertes · 56 · Impressum 3

· authentische vermittlung von naturwissenschaften im schülerlabor · In der naturwissenschaftlichen Bildung spielt nicht nur die Vermittlung von Fachwissen und von Fähigkeiten, Experimente durchzuführen, eine wichtige Rolle, sondern auch die authentische Vermittlung von Wissenschaft u. a. durch Einblicke in den Berufsalltag von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern. Schülerlabore können diese Einblicke gewähren und damit helfen, stereotype Vorstellungen über Forschung zu überwinden. Aus der bildungsbezogenen Perspektive ist die authentische Vermittlung von Wis- senschaft von zentraler Bedeutung, da jede Person Naturwissenschaften so weit verstehen sollte, dass sie Entscheidungen treffen sowie an Diskussionen und De- batten teilnehmen kann. Außerdem erleichtern authentische Einblicke in den Be- rufsalltag die Berufs- oder Studienfachwahl von Schülerinnen und Schülern. Trotz der großen Bedeutung des authentischen Wissenschaftsverständnisses konnte in mehreren Studien ein verzerrtes und unvollständiges Bild von Forschung und For- schenden bei Jugendlichen festgestellt werden. Diese stereotypen Vorstellungen der Jugendlichen werden in der Literatur wie folgt beschrieben: „Der typische Naturwissenschaftler ist ein Mann in einem weißen Kittel. Er trägt einen Bart oder wirkt unrasiert, ist ungekämmt und ist von Laborinstrumen- ten umgeben, mit denen er den ganzen Tag im Labor hantiert. Er hat keine Zeit und weiß nichts vom Rest der Welt. Er ist zwar intelligent und geheimniskrämerisch, seine Arbeit kann aber sehr gefährlich sein.“ Um diesen stereotypen Vorstellungen entge- genzuwirken, eignen sich außerschulische Lern- orte wie z. B. Schülerlabore, deren Ziel es unter anderem ist, Schülerinnen und Schülern Naturwis- senschaften möglichst authentisch zu vermitteln. Daher sollten im Rahmen der hier vorgestellten Studie Hands-on-Experimente und Videos als Ein- blicke in die aktuelle Forschung in das Schülerla- borprogramm klick! der Kieler Forschungswerkstatt integriert werden. Sowohl die Experimente als auch die Videos hierfür wurden in Zusammenarbeit mit Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern des DFG-Sonderforschungsbereichs (SFB) 677 „Funk- tion durch Schalten“ entwickelt. Das Schülerlaborprogramm klick! Das Gebäude der Kieler Forschungswerkstatt (KiFo), einer gemeinsamen Einrichtung der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel und des IPN, im Botanischen Garten der Universität. Das nanotechnologische Schülerlaborprogramm klick! wird jährlich von einigen hundert Oberstufenschülerinnen und -schülern von Gemeinschaftsschulen mit Oberstufe und Gymnasien Schleswig-Holsteins für jeweils einen Tag besucht. Ein solcher Labortag beginnt für die Jugendlichen mit einem Einführungs- vortrag und einer Sicherheitsbelehrung. Anschließend können die Schülerin- nen und Schüler an sechs unterschiedlichen Experimentierstationen in kleinen 5

· authentische vermittlung von naturwissenschaften im schülerlabor · Beim Experimentieren in der Kieler Forschungswerkstatt. Vermessung von Kontaktwinkeln mit Mikroskop-Kameras zur Un- tersuchung des Lotos-Effekts. Schalten des molekularen Schal- ters Spiropyran mit UV-Licht. Gruppen zusammenarbeiten. Jede dieser Stationen wird von einer Expertin oder einem Experten begleitet. Dabei handelt es sich meistens um Lehramtsstudieren- de mit naturwissenschaftlichem Hintergrund. Zu vier der sechs Stationen wurden Videos aus der Forschung als Einblicke in den Forschungsalltag entwickelt und anschließend in die Stationen eingebettet. Damit der Arbeitsalltag der im Sonderforschungsbereich tätigen Wissenschaft- lerinnen und Wissenschaftler durch die Videos möglichst facettenreich und au- thentisch vermittelt werden kann, wurden zahlreiche, sorgfältig gewählte Tätig- keiten der Forschenden explizit in die Videos integriert. Evaluation des Programms klick! Um die Wirkung von Videos im Programm klick! zu messen, wurden die Schüle- rinnen und Schüler mit einem Fragebogen unmittelbar vor und nach dem Schüler- labortag befragt. Hierfür wurde eine Gruppe befragt, welche nur die Experimen- te durchführte, und eine Gruppe, welche zusätzlich die Videos zu sehen bekam. Inhalt des Fragebogens waren zum einen Items, mit denen die Relevanz be- stimmter naturwissenschaftlicher Tätigkeitsfelder gemessen wurde, und zum an- deren Items, mit denen die Erwartung und die Bewertung der wahrgenommenen Authentizität erfasst wurden. Beispielitems zur Messung der erwarteten (Prä-Messzeitpunkt) und bewerteten (Post-Mess- zeitpunkt) Authentizität im klick!:labor messzeitpunkt beispielitem Prä Post Von einem Besuch im Schülerlabor erwarte ich, dass ich lerne, wie in der Forschung gearbeitet wird. Im Schülerlabor habe ich gelernt, wie in der Forschung gearbeitet wird. ipn journal no 8 6

· authentische vermittlung von naturwissenschaften im schülerlabor · akronym art der tätigkeit beispielitems Ein/e Naturwissenschaftler/in beschäftigt sich im Arbeitsalltag regelmäßig mit … R (realistic) I (investigative) A (artistic) S (social) E (enterprising) C (conventional) N (networking) Handwerklich der Durchführung von Messungen. Intellektuell der Auswertung gemessener Daten. Kreativ Sozial dem Designen neuer Forschungsansätze. dem Geben von Vorlesungen und Seminaren für Studierende. Unternehmerisch dem Erstellen eines Finanzplans für Forschungsprojekte. Administrativ, akribisch dem Wiederholen von Messungen zur Kontrolle. Zusammenarbeitend dem Treffen von Kolleginnen und Kollegen anderer Fachbereiche. Um die eingeschätzte Relevanz der unterschiedlichen Tätigkeitsfelder der Forschenden zu untersuchen, wurden ausgewählte Tätigkeiten in die RIASEC+N-Dimensionen, welche ursprünglich von dem RIASEC-Modell von Holland aus der Berufswahlfor- schung stammen, kategorisiert. Jeder Buchstabe des Akronyms RIASEC+N entspricht hierbei einem naturwissenschaftlichen Tätigkeitsfeld. Die Relevanz der Tätigkeiten konnte von den Schülerinnen und Schülern beim Ausfüllen des Fragebogens durch eine vierstufige Likert-Skala (1 = „Stimmt gar nicht“ bis 4 = „Stimmt völlig“) eingestuft werden. Stereotype Vorstellungen überwinden Die Ergebnisse der Studie zeigen, dass die eher stereotypen Tätigkeitsbereiche, wie das Durchführen von Experimen- ten und Messungen im Labor (Dimension R) und das Wie- derholen von Messungen zur Kontrolle (Dimension C), den Schülerinnen und Schülern bereits bekannt sind und sowohl vor als auch nach dem Schülerlaborbesuch als hoch relevant eingeschätzt werden. Die weniger stereotypen – unternehmerischen (Di- mension E), sozialen (Dimension S) und kreativen (Di- mension A) – Tätigkeitsbereiche wurden vor dem Schü- lerlaborbesuch als weniger relevant eingeschätzt. Durch die Videos konnten diese Bereiche jedoch mit mittleren Effektstärken gefördert werden. Die Schülergruppe, die keine Videos zu sehen bekam, schätzte diese Bereiche nach dem Schülerlaborbesuch als noch weniger relevant ein als vor dem Besuch. Dieses kann darauf zurückge- führt werden, dass die Schülerinnen und Schüler bei den Hands-on-Experimenten ausschließlich Labortätigkeiten durchführen und die weiteren Tätigkeitsbereiche von Wis- senschaftlerinnen und Wissenschaftlern erst durch die Vi- deos vermittelt werden. 7 *** *** *** n o i t a u l a v E 4.0 3.5 3.0 2.5 2.0 1.5 1.0 Ranking: 1: Stimmt gar nicht 4: Stimmt völlig *** p ≤ .001 Prä Post Prä Video Post Video Authentizität Erwartete und bewertete Authentizität vor (Prä) beziehungsweise nach (Post) einem Schülerlaborbesuch. Links: Die Ergebnisse der Gruppe, die nur die Experimente durchgeführt hat. Rechts: Die Ergebnisse der Gruppe, die zusätzlich die Videos angeschaut hat.

· authentische vermittlung von naturwissenschaften im schülerlabor · Die Erwartungen hinsichtlich der Authentizität vor dem Besuch wurden mit M = 2.82 und M = 2.94 hoch eingeschätzt und konnten sowohl bei der Gruppe, welche nur die Experimente durchführte, als auch bei der Gruppe, die zusätzlich die Videos zu sehen bekam, erfüllt beziehungsweise mit großen Effektstärken übertroffen werden. Durch die Videos konnte die Authentizität des Programms zusätzlich mit einer mittleren Effektstärke von d = 0.5 gefördert werden. Fazit Bei einer gezielten Berücksichtigung authentischer Merkmale sowie einer engen Verknüpfung mit der aktuellen Forschung kann ein Schülerlaborprogramm von den Schülerinnen und Schülern als authentisch wahrgenommen werden. Zusätz- lich kann die wahrgenommene Authentizität durch Videos aus der Forschung weiter gefördert und der Arbeitsalltag der Forschenden facettenreich vermittelt werden. Hierdurch besteht das Potenzial, den stereotypen Vorstellungen von Ju- gendlichen über Wissenschaft entgegenzuwirken. Stamer, I., Beiroth, F., Schwarzer, S., Hartke, B., Lindhorst, T. K. & Parchmann, I. (2018). Blick in die Zukunft: Computer- simulationen ergänzen die Heranführung von Schülerinnen und Schülern an naturwissen- schaftliche Arbeitsweisen. CHEMKON – Chemie konkret, 25(7), 285–292. https://doi.org/10.1002/ckon.201800001 Stamer, I., Kubsch, M., Steiner, M., Schwarzer, S. & Parchmann, I. (2019). Scien- tists, their work, and how others perceive them: Self-perceptions of scientists and stu- dents’ stereotypes. RISTAL, 2, 85-101. https://doi.org/10.23770/rt1826 Stamer, I., Pönicke, H., Laherto, A., Tirre, F., Höffler, T. N., Schwarzer, S. & Parchmann, I. (2020). Development & validation of scienti- fic video vignettes to promote perception of authentic science in student laboratories. Re- search in Science & Technological Education, 38(2), 168-184. https://doi.org/10.1080/026 35143.2019.1600491 Dr. Insa Stamer war Mitarbeiterin in der Abteilung Didaktik der Chemie am IPN. Die studierte Chemikerin widmet sich in ihrer Forschung Fragen rund um Schülerlabore. In diesem Artikel stellt sie Teile ihrer am IPN angefertigten Dissertation vor. Der- zeit ist sie an der TU Braunschweig tätig. i.stamer@tu-bs.de ipn journal no 8 8

· evolutionsbiologie lehren und lernen · Dem Unsichtbaren auf der Spur wie die fähigkeit zu statistischem denken mit evolutionswissen zusammenhängt und inwieweit visualisierungen helfen können, evolution zu verstehen Daniela Fiedler & Ute Harms Die Evolutionstheorie beschreibt die Entstehung und Entwicklung aller Lebensformen auf der Erde. Ein tiefgreifendes Verständnis der Evolutionsprozesse ist deshalb für viele Bereiche des individuellen, gesellschaftlichen und wissenschaftlichen Lebens von substanzieller Bedeutung. Dennoch fällt es vielen Menschen schwer, die Komplexität der Evolution zu begreifen. Unvorstellbar lange Zeiträume und biologische Systemebenen, die mit den menschlichen Sinnen nicht unmittelbar zu erfassen sind, sowie das Zusammenspiel stochastischer Prozesse wie Mutation und Selektion stellen vielfach Lernhindernisse dar. Die Bedeutung dieser Aspekte für die Entwicklung des Evolutionsverständnisses stand im Zentrum der hier vorgestellten Studien. 9

· evolutionsbiologie lehren und lernen · Weltweit hat das Corona-Virus SARS-CoV-2 das Leben von einem auf den anderen Tag verändert. Seit Monaten werden in kurzen Abständen neue wissenschaftliche Erkennt- nisse publiziert und in die Öffentlichkeit getragen. Gleichzeitig kursieren Verschwö- rungstheorien über die Herkunft des Virus. Doch wer einen Plan hinter dem Ausbruch von Covid-19 vermutet, ignoriert den zen- tralen Aspekt allen Lebens: die biologische Evolution. Vielen Lernenden fällt es aller- dings schwer, die Evolutionstheorie und ihre Dimensionen zu erfassen. Im IPN-Projekt EvoVis wurde untersucht, welche Bedeutung sogenannte Schwellenkonzepte beim Verste- hen von Evolutionsprozessen haben und in- wieweit interaktive Visualisierungen helfen können, Evolution besser zu verstehen. Harms, U., & Reiss, M. J. (Eds.) (2019). Evolution education re-considered: Understanding what works. Springer. https://doi. org/10.1007/978-3-030- 14698-6 Tibell, L. A. E., & Harms, U. (2017). Biological principles and threshold concepts for understanding natu- ral selection: Implications for developing visualiza- tions as a pedagogic tool. Science & Education, 26(7- 9), 953–973. https://doi. org/10.1007/s11191-017- 9935-x Wiederholungen über die Zeit Selektionsdruck Differenzielles Überleben Ursprung der Variation Individuelle Variation Reproduktionserfolg Veränderung der Population Artbildung erzeugt beeinflusst führt zu Molekular Individuum Population Art Höhere Taxa Vererbung von Merkmalen Kurz (<ms) Stunden - Tage - Jahre Stunden - Jahre Jahre - Tiefzeit System- ebene Zeitliche Aspekte menschliche Wahrnehmungsweite Schematische Darstellung des Prozesses der natürlichen Selektion. Zufällig erzeugte genetische Vielfalt (z. B. durch Mutation und Rekombination) kann sich in Form von individuellen phänotypischen Unterschie- den manifestieren. In Verbindung mit Selektionsdrücken aus der Umwelt führt dies zu einer unterschied- lichen Überlebens- und Fortpflanzungswahrscheinlichkeit. Werden die Unterschiede an die Nachkommen vererbt, kann sich die Merkmalsausprägung einer Population verändern. Über lange Zeiträume kann dies letztlich zur Entstehung neuer Arten beitragen. ipn journal no 8 10

· evolutionsbiologie lehren und lernen · Schwellenkonzepte im Kontext der Evolutionsbiologie Schulkinder, Studierende und sogar Lehr- kräfte zeigen viele fachlich inadäquate Vor- stellungen über die biologische Evolution. Dabei werden speziell solche Aspekte nicht verstanden, die mit eher abstrakten Kon- zepten wie Zufall und Wahrscheinlichkeit verknüpft sind oder die mit für den Men- schen schwer vorstellbaren Zeiträumen und mit den eigenen Sinnen nicht erfassbaren Systemebenen zusammenhängen. Diese As- pekte (Zufall, Wahrscheinlichkeit, zeitliche Maße und räumliche Maße) werden in der Lehr-Lern-Forschung auch als „Schwellen- konzepte“ bezeichnet und metaphorisch als Portale beschrieben, die – wenn man sie ein- mal durchschritten hat – einen neuen und zuvor unzugänglichen Weg des Denkens er- öffnen. Bisher fehlen jedoch empirisch fun- dierte Kenntnisse darüber, inwieweit das Verstehen dieser Konzepte mit dem Evoluti- onsverständnis zusammenhängt und wie die Konzepte greifbar gemacht werden können. Im deutsch-schwedischen Kooperationspro- jekt EvoVis sollen Antworten auf diese Fra- gen gefunden werden. Wie stark beeinflusst die Fähigkeit zu statistischem Denken das Evolutionsver- ständnis? Evolutionswissen und Akzeptanz der Evo- lutionstheorie werden durch eine Vielzahl kognitiver, affektiver und situativer Fakto- ren (z. B. Vertrauen in Forschung und For- schende, Bildungsabschluss, epistemologi- sche Überzeugungen) beeinflusst. Obwohl allgemein anerkannt ist, dass die Konzepte Zufall und Wahrscheinlichkeit zentrale Ele- mente der Evolutionsbiologie sind und Ler- nende der Lebenswissenschaften von einem fundierten Wissen mathematischer Konzepte profitieren, wurde bisher kaum untersucht, wie die Fähigkeit zu statistischem Denken mit dem Evolutionswissen und speziell mit der Akzeptanz der Evolutionstheorie zusam- menhängt. Zudem existierten keine bekann- ten Instrumente zur Messung der Fähig- keit zu statistischem Denken im Kontext der Evolutionsbiologie. Im Projekt wurden des- halb zwei Messinstrumente entwickelt und hinsichtlich ihrer Güte mit deutschen und nordamerikanischen Studierenden über- prüft. Die Ergebnisse zeigen, dass statis- tisches Denken nicht nur positiv mit dem Evolutionswissen, sondern auch mit der Ak- zeptanz der Evolutionstheorie korreliert. Fiedler, D., Sbeglia, G. C., Nehm, R. H., & Harms, U. (2019). How strongly does statistical reasoning influ- ence knowledge and accep- tance of evolution? Journal of Research in Science Teach- ing, 56(9), 1183–1206. https://doi.org/10.1002/ tea.21547 11

· evolutionsbiologie lehren und lernen · Göransson, A., Orraryd, D., Fiedler, D., & Tibell, L. A. E. (2020). Conceptual char- acterization of threshold concepts in student ex- planations of evolution by natural selection and ef- fects of item context. CBE – Life Sciences Education, 19(1), Article ar1. https:// doi.org/10.1187/cbe.19- 03-0056 Großschedl, J., Seredszus, F., & Harms, U. (2018). An- gehende Biologielehrkräfte: Evolutionsbezogenes Wis- sen und Akzeptanz der Evo- lutionstheorie. Zeitschrift für Didaktik der Naturwis- senschaften, 24(1), 51–70. https://doi.org/10.1007/ s40573-018-0072-0 Zudem weisen Regressionsanalysen darauf hin, dass statistisches Denken nicht nur als relevanter Prädiktor für Wissen und Akzep- tanz angesehen werden kann, sondern auch Varianzanteile aufklärt, die nicht durch an- dere Faktoren wie demografische Angaben oder Evolutionswissen (bei Akzeptanz) er- klärt werden können. Dadurch werden erste Hinweise für die Bedeutung des statistischen Denkens für das Lehren und Lernen der Evo- lution geliefert. Drei evolutionsbiologische Phänomene, eine wissenschaft- liche Erklärung? Erklärungen evolutionsbiologischer Phäno- mene werden basierend auf der Verwendung bestimmter Schlüsselkonzepte (z. B. indivi- duelle Vielfalt, differenzielles Überleben) und naiver Erklärungsmuster (z. B. teleolo- gische Erklärungen) beurteilt. Dabei wird Merkmalsgewinn meist besser erklärt als Merkmalsverlust, obwohl beiden Phänome- nen die gleichen evolutionsbiologischen Prin- zipien zugrunde liegen. Bisher unbeachtet ist jedoch, inwiefern auch Schwellenkonzepte in solchen Erklärungen verwendet werden. Deshalb wurden Studierende in Deutschland und Schweden gebeten, schriftliche Erklä- rungen zu drei evolutionsbiologischen Phä- nomenen zu formulieren: (a) Antibiotika- resistenz bei Bakterien, (b) Laufgeschwin- digkeit von Geparden und (c) Sehverlust bei Höhlensalamandern. Zwar wurden insge- samt alle Schwellenkonzepte gefunden, aller- dings eher bei Erklärungen zum Merkmals- gewinn als zum Merkmalsverlust. Gerade bei komplexeren Organismen stellt die Verknüp- fung von Veränderungen auf der genetischen (Submikro-) Ebene (z. B. durch Mutationen) mit den dadurch bedingten phänotypischen Veränderungen beim Individuum (Makro- ebene) eine Herausforderung dar. Auch die Bedeutung stochastischer Evolutionspro- zesse (Konzepte Zufall und Wahrscheinlich- keit) scheint vielen nicht bewusst zu sein oder sie halten diese nicht für zentral genug, um sie in ihre Erklärungen aufzunehmen. 25% 19% 11% 5% 6% 10% 4% 22% 0.4% 16% Submikro Mikro Makro Supermakro Submikro Mikro Makro Supermakro bakterien geparde Verknüpfung unterschiedlicher Systemebenen in den Erklärungen der drei evolutionsbiologischen Phänomene. Die Liniendicke entspricht der Häufigkeit der gefundenen Verknüpfungen. ipn journal no 8 12

· evolutionsbiologie lehren und lernen · In einer experimentellen Studie mit Schüle- rinnen und Schülern der zehnten Klassen- stufe wurde die Wirkung des selbstregulier- ten Lernens mit EvoSketch auf die Entwick- lung des statistischen Denkens und des Evo- lutionswissens untersucht. Selbstreguliertes Lernen mit EvoSketch scheint etwas besse- re Testergebnisse beim statistischen Denken hervorzubringen als ohne EvoSketch. Entge- gen vorheriger Erwartungen führten zusätzli- che Unterstützungen, etwa in Form eines Bei- spiels oder reflektierender Fragen, zu keiner Verbesserung. Damit EvoSketch als konzep- tueller Rahmen für das Zusammenspiel von Mutation und Selektion dienen kann, sollte EvoSketch in mehreren Unterrichtsstunden und unter Behandlung verschiedener evoluti- onsbiologischer Phänomene genutzt werden. Fiedler, D., Tröbst, S., Großschedl, J., & Harms, U. (2018). EvoSketch: Simple simulations for learning random and probabilistic processes in evolution, and effects of instructional sup- port on learners’ concep- tual knowledge. Evoluti- on: Education and Outreach, 11, Article 15. https://doi. org/10.1186/s12052-018- 0089-3 Wer Interesse an der interaktiven Anwendung EvoSketch hat, kann sich gern bei Frau Dr. Fiedler melden. Da evolutionsbiologische Phänomene noch immer eher aufgrund oberflächlicher Merk- male wie Merkmalspolarität erklärt werden, fehlt vielen ein tiefgreifendes Verständnis für evolutionsbiologische Prozesse. Zufall und Wahrscheinlichkeit greifbar machen Dynamische Visualisierungen können hel- fen, naturwissenschaftliche Prozesse sicht- bar und dadurch begreifbar zu machen. Um Lernenden die Bedeutung und das Zusam- menspiel stochastischer Evolutionsprozesse wie Mutation und Selektion verständlich zu machen, wurde eine interaktive, webbasier- te Anwendung namens EvoSketch entwickelt. In EvoSketch sollen Lernende eine Linie (re- produzierender Organismus) über 20 Gene- rationen hinweg nachzeichnen. Basierend auf der Kombination aus Abweichungen (Mutati- onen) beim Zeichnen und dem Auswahlpro- zess (Selektion) wird sich die Linie entweder nach rechts oder links verschieben (d. h. evo- lutiv entwickeln). 3% 4% 0.4% 45% Submikro Mikro Makro Supermakro höhlensalamander 13

· evolutionsbiologie lehren und lernen · DAS PROJEKT EVOVIS Das Projekt EvoVis (Challenging Threshold Concepts in Life Science - Enhancing Understanding of Evo- lution by Visualization) ist ein Ko- operationsprojekt des IPN mit der Universität Linköping (Schweden) und wurde für vier Jahre durch den Schwedischen Wissenschafts- rat, das schwedische Pendant zur Deutschen Forschungsgemein- schaft (DFG), gefördert. Im Projekt werden zwei zentrale Ziele verfolgt: 1. Erkenntnisse zur Bedeu- tung der Konzepte Zufall und Wahrscheinlichkeit sowie zeit- licher und räumlicher Maße für die evolutionsbiologische Wis- sensentwicklung zu generieren. 2. Mithilfe von Interventions- studien Hinweise darüber zu erhalten, wie diese Konzepte für Lernende durch dynamische Visualisierungen (z. B. Anima- tionen oder Simulationen) begreifbar gemacht werden können. Fazit und Ausblick Die Befunde betonen die Bedeutung der Schwellenkonzepte für das Evolutionsverständnis. Speziell Visualisierungen, die das Zusammen- spiel stochastischer Evolutionsprozesse explizit erklären, können bei der Entwicklung eines tiefergreifenden Verständnisses der biologischen Evolution helfen. Trotzdem bleiben noch viele Fragen über die Aufbe- reitung der Schwellenkonzepte in digitalen Medien offen, die in zu- künftigen Studien bearbeitet werden sollen. Zudem entstehen naive Erklärungsmuster zur Evolution bereits im Kindesalter und können so das weitere Lernen zur Evolution behindern. In einem weiteren Projekt (EvoPrime: Evolution als Gegenstand frühkindlicher Bildung) werden deshalb Wege gesucht, wie bei jungen Kindern ein wissenschaftlich adäquates Wissen über Evolution angebahnt werden kann, um so die Wissensentwicklung in der Schule zu erleichtern. Hierfür werden ak- tuell Kinderbücher zu Evolution auf lernförderliche und lernhinderli- che Inhalte untersucht. Dr. Daniela Fiedler ist wissenschaftliche Mitarbeiterin in der Abteilung Didaktik der Bio- logie am IPN. Sie beschäftigt sich in ihrer Forschung mit verschiede- nen Einflussfaktoren für das Lehren und Lernen der biologischen Evo- lution. Die hier vorgestellten Ergebnisse beruhen in Teilen auf ihrer im Projekt EvoVis eingegliederten Dissertation. fiedler@leibniz-ipn.de Prof. Dr. Ute Harms ist Direktorin am IPN und Professorin für Didaktik der Biologie. Das Lehren und Lernen der Evolution über die Lebensspanne ist einer ihrer Forschungsschwerpunkte. harms@leibniz-ipn.de ipn journal no 8 14

Stolpersteine erkennen und aus dem Weg räumen was man bedenken sollte, wenn man ein systematisches literaturreview durchführen will Carola Garrecht & Till Bruckermann Eine gründliche Literaturrecherche ist in der Forschung für die Planung von Vorhaben sowie für die Einordnung von Ergebnissen entscheidend. Mit einem systematischen Literaturreview kann sogar eine klar definierte Forschungsfrage entlang publizierter Literatur beantwortet werden. Man muss dafür alle relevanten Artikel zusammentragen, die zur Verfügung stehen. Was einfach klingt, birgt so manchen Stolperstein. 15 Der Ablauf eines systematischen Literaturreviews ist schnell erklärt: Nachdem eine Forschungsfrage erarbeitet wurde, gilt es, geeignete Suchbegriffe für die Suche in Literaturda- tenbanken zu definieren. Die Suche soll alle zur Beantwor- tung der Forschungsfrage relevanten Artikel identifizieren, um diese unter Einbezug von Auswahlkriterien in einer Lite- raturbasis zusammenzuführen. Dazu werden die Definition von Suchbegriffen und das Auswählen passender Artikel so lange iteriert, bis eine erschöpfende Literaturbasis erreicht ist. Die transparente Dokumentation dieser Schritte ist das Fundament eines soliden Literaturreviews. Basierend auf unseren Erfahrungen haben wir eini- ge Stolpersteine zusammengetragen, die während dieses Prozesses auftreten können, und werden nun mögliche Lösungsansätze empfehlen.

· gewusst wie … · Arbeitsschritt 1: Forschungsfrage definieren Arbeitsschritt 3: Umgang mit Suchbegriffen Herausforderung: „Ich möchte ein Literaturreview anfer- tigen. Kann ich meine Forschungsfrage durch ein Literatur- review überhaupt beantworten?“ Empfehlung: Um eine geeignete Forschungsfrage für ein Literaturreview zu definieren, sollte man den aktuellen Forschungsstand bereits überblicken. Literaturreviews bie- ten sich dann an, wenn schon ausreichend Artikel zum For- schungsgegenstand publiziert wurden. Erfahrungen aus einer vorherigen Beschäftigung mit dem Forschungsgegen- stand (z. B. in einer früheren Qualifikationsarbeit) oder eine vorangehende gründliche Literaturrecherche erleichtern die Präzisierung der Forschungsfrage. Arbeitsschritt 2: Auswahl geeigneter Literaturdatenbanken Herausforderung: „Es gibt eine Vielzahl von Literaturda- tenbanken. Welche ist die richtige zur Beantwortung mei- ner Forschungsfrage?“ Empfehlung: Zunächst orientiert man sich an dem Fachbe- reich, dem die Forschungsfrage entspringt. Die Datenbank ERIC (Educational Resources Information Center) speziali- siert sich beispielsweise auf englischsprachige Artikel der Bildungsforschung. FIS Bildung sucht auch deutschsprachi- ge Artikel in diesem Bereich. Anschließend kann die Suche auch auf nicht fachspezifische Datenbanken wie das Web of Science ausgeweitet werden. Zudem helfen Überlegungen, welche Art von Literatur man sucht (Artikel aus Fach- zeitschriften, Konferenzbeiträge, Unterrichtsentwürfe). GoogleScholar liefert beispielsweise eine breitere Suche und schließt auch Bücher und Konferenzbeiträge ein. Herausforderung: „Meine Auswahl an Suchbegriffen ge- neriert bei einer ersten Suche unglaublich viele beziehungs- weise kaum Artikel. Was kann ich tun?“ Empfehlung: Wenn Forschungsfragen nicht präzise genug definiert sind, werden Suchbegriffe eventuell zu unscharf gewählt. Dies kann im Folgenden eine unüberschaubare oder eine relativ geringe Anzahl von Artikeln hervorbrin- gen. Eine Möglichkeit wäre, die Forschungsfrage thema- tisch zu öffnen oder zu schließen, indem die Suchbegrif- fe verfeinert oder zusammengefasst werden. Dabei helfen kleine Kniffe wie beispielsweise die Verwendung von An- führungszeichen. Dadurch werden exakte Wortzusammen- hänge, zum Beispiel „climate change“ statt „climate“ und „change“ gesucht. Darüber hinaus hilft die Verwendung lo- gischer Operatoren wie AND und/oder OR, um Zusammen- hänge ein- oder auszuschließen, sowie die gezielte Verwen- dung von Synonymen. Arbeitsschritt 4: Suchergebnisse zusammenführen Herausforderung: „Durch die Kombination verschiedener Datenbanken entsteht ein vollkommenes Chaos. Wie löse ich das auf?“ Empfehlung: Die Nutzung von Literaturverwaltungspro- grammen wie Citavi oder Endnote ist eine gute Strukturie- rungshilfe bei der Erstellung eines Literaturreviews. Vie- le Literaturdatenbanken bieten eine Exportfunktion der Suchergebnisse an, sodass diese in die Literaturprogramme importiert werden können. In Citavi werden zum Beispiel Dubletten automatisch erkannt und aussortiert. Arbeitsschritt 5: Definition von Einschluss- und Ausschlusskriterien Herausforderung: „Die Suche in der Datenbank hat mir nun eine ganze Reihe unterschiedlicher Formate publizierter Li- teratur ausgespuckt. Wie entscheide ich, welche Artikel auf- genommen werden?“ Empfehlung: In erster Linie kommt es hier auf die For- schungsfrage an. Deshalb werden zu Beginn der Su- che Kriterien definiert, welche die Literatur aufwei- sen sollte, um in die Analyse aufgenommen zu werden. ipn journal no 8 16

· gewusst wie … · Diese Einschluss- und Ausschlusskriterien können beispiels- weise die Sprache der zu analysierenden Artikel definieren oder auch festlegen, ob lediglich Artikel berücksichtigt wer- den, die ein Begutachtungsverfahren durchlaufen haben (peer review). Neben formalen Grenzen sollten die Kriteri- en auch inhaltliche Grenzen abstecken, beispielsweise, ob lediglich Studien betrachtet werden, die Schülerinnen und Schüler in formalen Bildungskontexten untersuchten. zwischen den Artikeln übersichtlicher wird. Dazu sollten die Artikel auch hinsichtlich ihrer methodischen Güte und Aus- sagekraft geprüft werden. Nicht vergessen! Ein systematisches Literaturreview ist weder ein Überblick noch eine Zusammenfassung aller gefundenen Artikel, sondern trägt zum aktuellen Dis- kurs bei, indem es eine Lücke im Forschungsfeld durch eine gezielte Forschungsfrage bearbeitet. Arbeitsschritt 6: Auswahl geeigneter Artikel Herausforderung: „Ich kenne nun Kriterien, nach denen ich passende und unpassende Artikel unterschei- de. Muss ich alle Artikel lesen, um die passenden aus- zuwählen?“ Empfehlung: Die vorher definierten Einschluss- und Aus- schlusskriterien helfen bei der Auswahl geeigneter Arti- kel und sollten den Suchergebnissen immer zugrunde ge- legt werden. Zunächst werden alle Artikel hinsichtlich ihrer Passung zur Forschungsfrage überflogen (Screening). Dabei liefern der Titel und das Abstract, aber auch die Zeitschrif- tennamen Hinweise auf die Passung. Beim Screening soll- ten nur solche Kriterien angelegt werden, die anhand des Titels und Abstracts geprüft werden können. Alle formal geeigneten Artikel werden in einem weiteren Schritt einer inhaltlichen Prüfung unterzogen. Hierbei werden die nach dem Screening verbleibenden Artikel im Volltext auf ihre Passung anhand der Einschluss- und Ausschlusskriterien ge- prüft (Eligibility). Wichtig: Checklisten wie das PRISMA Flowchart kön- nen helfen, um die vorherigen Schritte systematisch ab- zuarbeiten und zu dokumentieren: doi:10.1371/journal. pmed1000097 Arbeitsschritt 7: Auswertung der gefundenen Literatur Herausforderung: „Meine Auswahl an Artikeln ist sehr he- terogen und komplex. Wie kann ich diese jetzt untereinan- der vergleichen?“ Empfehlung: Zur Strukturierung der Datenerhebung kann auf den Einsatz eines Analyseformulars zurückgegriffen werden (z. B. Critical Review Forms: doi: 10.1371/journal. pone.0193060.s003). Diese helfen, relevante Informationen zu extrahieren und so zu dokumentieren, dass ein Vergleich 17 Dos • Beurteilung der Evidenz in Artikeln • Artikel aufeinander beziehen • widersprüchliche und übereinstimmende Befunde einordnen • Gruppierungen bilden und vergleichen • potenzielle Verzerrungen (bias) sowohl auf Artikel- ebene als auch auf Review-Ebene beurteilen Don’ts • Niederschrift aller gefundenen Artikel • bloße Wiedergabe der Informationen Dr. Carola Garrecht ist Postdoc in der Abteilung Didaktik der Biologie am IPN. Prof. Dr. Till Brucker- mann ist Professor an der Leibniz-Universität Han- nover. Mit diesem Beitrag zeigen sie Nachwuchswis- senschaftlerinnen und -wissenschaftlern, wie man zielführend ein systematisches Literaturreview durch- führen kann. garrecht@leibniz-ipn.de till.bruckermann@iew.uni-hannover.de

· in eigener sache · IPN Journal zukünftig nur noch digital abonnieren sie jetzt das digitale ipn journal – druckversion wird eingestellt Das IPN Journal erscheint seit der ersten Ausgabe sowohl digital als auch gedruckt. Seit zwei Ausgaben wird die digitale Version auch als e-Publikation im Internet zur Verfügung gestellt. Das macht es attraktiv, online zu lesen: Die Online-Variante sieht damit genauso schön und professionell gestaltet aus wie die gedruckte Ausgabe. Das IPN hat sich entschieden, zukünftig auf die gedruckte Version des IPN Journals zu verzichten. Das spart Kosten für Druck, Verpackung und Porto und schont die Umwelt in vielerlei Hinsicht. Wichtig: Ihr Abonnement wird nicht automatisch umgestellt! Diejenigen von Ihnen, die bislang nur die gedruck- te Version beziehen, sind freundlichst gebeten, sich für die elektronische Version anzumelden! Sie er- halten jeweils zum Erscheinen einer neuen Ausga- be des IPN Journals eine E-Mail mit dem direkten Link zur Online-Ausgabe. Darüber hinaus bekom- men Sie keine weiteren E-Mails von uns, verspro- chen! Das gute Gewissen, etwas für den Umwelt- und Ressourcenschutz getan zu haben, gibt es dazu. Um das Abonnement von der Druckversion auf die digitale Version umzustellen, genügt eine E-Mail an ipnjournal@leibniz-ipn.de Besuchen Sie uns auch in den sozialen Netzwerken: ipn journal no 8 @IPN_Kiel (Twitter) @ipn_kiel (Instagram) IPN (YouTube) IPN (LinkedIn)

» Die Dampfwalze der Pandemie wurde unterschätzt. « Prof. Dr. Olaf Köller, Geschäftsführender Wissenschaftlicher Direktor des IPN, ist Mitglied der Leopoldina-Autorengruppe, die von Frühjahr bis Herbst 2020 mehrere Ad-hoc-Stellungnahmen zum Umgang mit der Corona-Pandemie in Deutschland veröffentlicht hat. Das IPN Journal spricht mit ihm über die Stellungnahmen und das Lernen in Zeiten der Pandemie. IPN JOURNAL: Die Leopoldina, die Nationale Aka- demie der Wissenschaften, hat die Aufgabe, Po- litik, Gesellschaft und Wirtschaft zu aktuellen wissenschaftlichen und wissenschaftspolitischen Fragen zu beraten. So gibt die Akademie Stellung- nahmen zu verschiedenen Themen heraus. Beson- ders medienwirksam waren die Stellungnahmen zur nationalen Klimapolitik vor einiger Zeit sowie die im vergangenen Jahr veröffentlichten Stel- lungnahmen zur Corona-Pandemie und zum Um- gang mit COVID-19 in der Bundesrepublik. Wer gibt eigentlich den Impuls zur Bildung von Auto- rengruppen wie für die Ad-hoc-Stellungnahmen zu Corona? OLAF KÖLLER: Der Impuls für solche Stellungnah- men geht typischerweise vom Präsidium der Leo- poldina aus. Dort wird das Thema festgelegt und dadurch, dass die Präsidiumsmitglieder aus unter- schiedlichen Wissenschaftsdisziplinen kommen, ist es für sie in der Regel auch kein Problem, in- terdisziplinäre Autorenteams zusammenzustel- len. Diese bestehen aus renommierten Kollegin- nen und Kollegen, die Mitglieder der Leopoldina sein können, aber nicht müssen. Für mich selbst galt ja auch, dass ich als Mitautor der 3., 5. und 6. Stellungnahme der Leopoldina zur Corona-Pande- mie kein Mitglied der Leopoldina war. 19

IPN JOURNAL: Man muss also nicht selbst Mit- glied der Nationalen Akademie der Wissen- schaften sein, um in der Autorengruppe mit- wirken zu können? KÖLLER: Nein, es werden Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler eingebunden, die in ihren Disziplinen einschlägige Forschung betreiben, sich aber auch schon in der Kommunikation mit der Politik einen Namen gemacht haben. Gleich- wohl achtet die Leopoldina darauf, dass in der Autorengruppe Präsidiumsmitglieder und weite- re Mitglieder vertreten sind. » Wenn Disziplinen wie Medizin, Natur- wissenschaften, Öko- nomie, Soziologie, Psychologie und Bildungsforschung aufeinandertreffen, ähnelt sich die Wissen- schaftssprache. « · im gespräch · IPN JOURNAL: Eine Autorengruppe setzt sich ja aus vielen Fachleuten unterschiedlicher Diszi- plinen zusammen. Wie läuft die konkrete Ar- beit in der Autorengruppe ab? Und eine Fra- ge, die sich stellt, ist, ob die Mitwirkenden aus den unterschiedlichen Disziplinen Ver- ständigungsschwierigkeiten haben, da jedes Mitglied ja seine eigene Fachsprache spricht. KÖLLER: Der Ablauf ist zu Beginn scheinbar unge- ordnet, erweist sich aber im weiteren Verlauf als äußerst effizient. Jedes Mitglied der Autorengrup- pe wird zunächst angeschrieben mit der Bitte, auf ein bis zwei Seiten zu drei bis fünf Fragen Stellung zu nehmen. Die Stellungnahmen werden dann in der Geschäftsstelle der Leopoldina gesammelt und wissenschaftliche Referentinnen und Re- ferenten der Geschäftsstelle plus einige Präsidi- umsmitglieder fügen aus der losen Sammlung einen ersten Entwurf der Stellungnahme zusam- men. Dieser wird anschließend in Videokonferen- zen von der gesamten Autorengruppe mehrmals online überarbeitet bzw. es werden dabei Kom- mentare abgegeben, welche die Geschäftsstelle dann wieder einarbeitet. Nach mehreren derar- tigen Schleifen gibt es ein präfinales Dokument, das nochmals in der Autorengruppe endredigiert wird. Danach wird die finale Version erstellt und man hat die Möglichkeit zu entscheiden, ob man das Ganze mitträgt und als Autorin oder Autor genannt werden möchte. Interessant war, dass es eigentlich zwischen den unterschiedlichen Diszi- plinen kaum Verständigungsprobleme gab. Wenn Disziplinen wie Medizin, Naturwissenschaften, Ökonomie, Soziologie, Psychologie und Bildungs- forschung aufeinandertreffen, ähnelt sich die Wissenschaftssprache. Auch die Forschungsme- thodik ist gar nicht so unterschiedlich, dass man sich etwa nicht verstehen könnte. Selbst die Ver- ständigung mit den Juristinnen und Juristen war einfach. Gern will ich zugeben, dass man als Bil- dungsforscher nicht alle Fachtermini der Virolo- ginnen und Virologen en détail versteht. Für das Verfassen der Stellungnahmen war das aber kein Problem. Probleme ergaben sich eher in der un- terschiedlichen Bewertung von Forschungsergeb- nissen. ipn journal no 8 20

IPN JOURNAL: Wenn Sie auf die Ad-hoc-Stel- lungnahmen von Frühjahr bis Herbst 2020 blicken, wurden aus Ihrer Sicht alle Empfeh- lungen umgesetzt? KÖLLER: Fast alles, auch Dinge, für die wir zu- nächst gescholten wurden. So haben wir ja in der 6. Stellungnahme im September empfohlen, ab der 5. Klasse Maskenpflicht in Klassenräumen zu verordnen. Schon im August, als wir an der Stellungnahme saßen, kam das Argument, dass im Herbst und Winter die Infektionszahlen bei 20.000 pro Tag liegen könnten und man frühzei- tig gegensteuern müsste. Entsprechend kam die Empfehlung der Maskenpflicht ab der 5. Klasse in Schulen. Am Tag der Veröffentlichung kam dann erheblicher politischer Gegenwind. Im November haben aber – angesichts der hohen Infektionszah- len – einige Länder auch diese Empfehlung nolens volens umgesetzt. · im gespräch · IPN JOURNAL: Das Medieninteresse an den Ad-hoc-Stellungnahmen zu Corona war sehr groß. Es gab aber nicht nur Zustimmung, sondern auch Kritik. Es hieß zum Beispiel im Sommer 2020, das Ziel, die Stellungnahmen der Leopoldina sollten einen Weg zurück zur Normalität weisen, sei verfehlt worden, da die Vorschläge wirklichkeitsfremd seien. Wie sehen Sie das? KÖLLER: Ich will das gerne einmal anhand der 3. Stellungnahme erläutern, die Ostern veröffent- licht wurde und in der unter anderem ein Weg aufgezeigt wurde, wie man die Schulen und Kitas bis zum Sommer wieder öffnen könnte. Empfeh- lungen waren unter anderem, dass zunächst die Kinder und Jugendlichen wieder in die Kita bzw. die Schule dürfen, die an den Übergängen ste- hen, also kurz vor der Einschulung, kurz vor dem Übergang von der Grundschule in die Sekundar- stufe I oder vor dem Übertritt in die berufliche Erstausbildung. Dies sollte nur in kleinen Grup- pen geschehen mit der Fokussierung in der Schu- le auf Kernfächer. Die Prüfungen, vor allem auch die Abiturprüfungen, sollten unter Einhaltung der AHA-Regeln durchgeführt werden. Diese wie auch weitere Empfehlungen der 3. Stellungnahme wurden in den 16 Ländern fast eins zu eins um- gesetzt. Dasselbe galt im Übrigen auch für die 5. Stellungnahme, die sich ausschließlich mit dem Bildungssystem befasst hat. Die dortigen Emp- fehlungen beispielsweise zur weiteren Digitali- sierung wollen Bund und Länder auch umsetzen bzw. sie haben mit der Umsetzung schon begon- nen. Die öffentlichen Diskussionen zeigen, dass man als Mitautor solch einer Stellungnahme zwar Verantwortung übernimmt, sich in der Regel aber keine Freunde macht. 21

· im gespräch · IPN JOURNAL: Sie sind ja nicht nur der Ge- schäftsführende Wissenschaftliche Direktor des IPN, sondern auch ordentlicher Profes- sor an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel. Wie hat sich Ihrer Meinung nach das di- gitale Lernen im Studium im Verlauf der Pan- demie entwickelt? KÖLLER: Die Universitäten waren hinsichtlich ihrer Infrastruktur deutlich besser vorbereitet. Auch ist man es als Wissenschaftler gewohnt, mit internationalen Kolleginnen und Kollegen Video- konferenzen abzuhalten, wenn man gemeinsame Forschungsprojekte hat. Dazu kam, dass Studie- rende und Lehrende ja universitäre E-Mail-Adres- sen haben und auch Lernmanagement-Systeme zur Verfügung stehen. Insofern war es für viele Lehrende unproblematisch, auf digitale Lehrfor- mate umzusteigen. Allerdings kam es zu Beginn des Sommersemesters immer wieder zu Engpäs- sen, da die Netzwerke durch die vielen Zugriffe durch Studierende und Lehrende überlastet waren und man dann schon mal plötzlich aus der digita- len Lehrveranstaltung „rausflog“. Auch war zu be- obachten, dass die Studierenden doch passiver als bei Präsenzveranstaltungen waren und man sich mehr Gedanken machen musste, wie man sie ak- tiviert. Insgesamt würde ich aber behaupten, dass sich die Universitäten in der Krise weitgehend re- silient gezeigt haben. » Letztlich zeigt sich hier, dass wir in Deutschland Wüsten haben. « immer noch digitale IPN JOURNAL: Als im März 2020 die Schulen geschlossen wurden, mussten sie von heute auf morgen Konzepte für das Lernen jenseits des Präsenzunterrichts entwickeln, wodurch das digitale Lernen immens befördert wur- de. Wie haben Ihrer Meinung nach die Schu- len das Lernen in der Pandemie gemeistert? Und gibt es etwas, was die Schulen für die Zeit „nach der Pandemie“ daraus mitnehmen können? KÖLLER: Es gab Schulen, die mehr oder weniger von heute auf morgen vom analogen auf das di- gitale Lernen umgestellt haben und an denen die Schülerinnen und Schüler so regelmäßig Arbeits- aufträge für Zuhause erhielten. Auch waren hier die Lehrkräfte via Internet erreichbar. In ande- ren Schulen dagegen kam das Lernen weitgehend zum Erliegen, hier hatten Schülerinnen und Schü- ler über Tage, teilweise über Wochen keinen Kon- takt zu ihren Lehrkräften. Dabei wurde man mit dem Umstand konfrontiert, dass es immer noch Schulen ohne Internetanschluss gibt, dass keine oder veraltete digitale Endgeräte in den Schulen stehen und weder Lehrkräfte noch Schülerinnen und Schüler E-Mail-Adressen für einen schulei- genen E-Mail-Server haben. Letztlich zeigt sich hier, dass wir in Deutschland immer noch digita- le Wüsten haben. Insgesamt zeigen die Ergebnis- se einer Studie des ifo Instituts, also des Leibniz- Instituts für Wirtschaftsforschung an der LMU München, dass sich in der Zeit des Lockdowns die für schulische Arbeiten aufgebrachten Stun- den pro Tag halbiert haben. Aktuell rüsten die Schulen in allen Länder digital auf. Sie kaufen Hardware und Lernmanagement-Systeme, die das Distanzlernen erleichtern können, aber auch nach der Pandemie den Präsenzunterricht unterstüt- zen können. ipn journal no 8 22

· im gespräch · » Es bedarf erheblicher Katastrophen, damit sich im deutschen Schulsystem ein echter Reformdruck aufbaut. « IPN JOURNAL: Eine letzte Frage zu einem per- sönlichen Fazit: Gibt es etwas, was Sie von der Pandemie und aus dem Umgang mit CO- VID-19 gelernt haben? KÖLLER: Ja, vieles, ich will mich aber auf drei Punkte beschränken. Erstens hat die Pandemie gezeigt, dass es schon erheblicher Katastrophen bedarf, damit sich im deutschen Schulsystem ein echter Reformdruck aufbaut. Zweitens habe ich mitgenommen, wie wichtig in solchen Krisen der vertrauensvolle Dialog zwischen Wissenschaft und Politik ist, um das Problem zu beherrschen. Und schließlich hat die Krise noch einmal deutlich gemacht, wie wichtig mathematisch-naturwissen- schaftliche Bildung für gesellschaftliche Diskurse ist. Ohne Kompetenzen in der Mathematik und in den Naturwissenschaften kann man nicht ver- stehen, was ein exponentielles Infektionsgesche- hen ist, was ein Reproduktionsfaktor ist oder auch was der Unterschied zwischen registrierten Coro- na-Infizierten und insgesamt Infizierten ist. Fehlt solch ein Verständnis, so ist es schwer zu beurtei- len, wie sinnvoll oder sinnlos Maßnahmen zur Be- kämpfung der Pandemie sind. IPN JOURNAL: Vielen Dank für das Gespräch. IPN JOURNAL: Als im Frühjahr 2020 die ersten Meldungen aus China zu dem neuartigen Vi- rus zu uns gelangten, ahnten Sie bereits, wie lange und in welchem Ausmaß es das Leben weltweit und in Deutschland beherrschen wird bzw. hat sich Ihre eigene Haltung zur Co- rona-Pandemie im Laufe der Zeit verändert? KÖLLER: Im Frühjahr 2020 hat sich meines Erach- tens kaum jemand wirklich ausmalen können, was da auf uns zurollt. Wenn man sich heute vor Augen hält, dass Karnevalssitzungen stattfanden und Menschen aus Deutschland massenweise in die Skiferien gefahren sind – in Hamburg noch Anfang März – so belegt dies, dass eigentlich un- sere komplette Gesellschaft die Dampfwalze der Pandemie unterschätzt hat. Das galt bis März ver- gangenen Jahres im Übrigen auch für das RKI und den Bundesgesundheitsminister. Inzwischen sind wir klüger. Für mich haben sich in der Krise viele neue Einsichten ergeben. Ich habe viel über Infek- tionsgeschehen gelernt. Ich war zuerst nicht von der Gefahr des Virus überzeugt, das hat sich aber grundlegend geändert. Ich bin mittlerweile sehr streng geworden, was die AHA-Regeln betrifft, habe mein eigenes Verhalten erheblich verändert und beschäftige mich viel mehr mit dem Sinn und Unsinn von Maßnahmen in der Krise. 23

· citizen science · Wie lässt sich die Beteiligung an Wissenschaft beschreiben? Die öffentliche Beteiligung an Wissenschaft wur- de schon früh als Leiter beschrieben, auf der Bür- gerinnen und Bürger von einfachen Einblicken in die Wissenschaft bis hin zur vertieften Ausein- andersetzung mit und sogar Weiterentwicklung von wissenschaftlichen Erkenntnissen hochstei- gen können. Dabei werden Projekte mit Bür- gerbeteiligung häufig unterschiedlichen Beteili- gungsmodellen zugeordnet, je nachdem, wie die Beteiligung an den wissenschaftlichen Tätigkei- ten aussieht. Diese Modelle beschreiben die Be- teiligung an der Datenerhebung (contributory projects), den zusätzlichen Einbezug in die Ana- lyse von Daten (collaborative projects) und die Entwicklung neuer Fragestellungen und For- schungsprojekte (co-created projects). In Befra- gungen zeigte sich, dass sich die Motivation der Teilnehmenden an den sogenannten Bürgerwis- senschaftsprojekten vor allem auf eine Beteili- gung an der Datenerhebung für die Wissenschaft bezog. Da bisher aber nur wenige Bürgerwissen- schaftsprojekte Beteiligungsmöglichkeiten über die Datensammlung hinaus angeboten oder die tatsächliche Beteiligung in verschiedenen Projekt- phasen untersucht haben, ergibt sich hieraus eine Forschungslücke, die wir gemeinsam mit dem Bürgerwissenschaftsprojekt „Wildtierforscher in Berlin“ füllen. In den sogenannten Bürgerwissenschaften (Citi- zen Science) leisten Personen, die in einem For- schungsgebiet nicht hauptamtlich tätig sind, ei- nen Beitrag zu Forschungsprojekten. Neben dem Beitrag zur Wissenschaft und der Umsetzung wissenschaftlicher Erkenntnisse in die Praxis (z. B. im Artenschutz) sollen Projekte mit Betei- ligung von Bürgerinnen und Bürgern den Teil- nehmenden auch eine naturwissenschaftliche Grundbildung vermitteln. Im Rahmen des Ver- bundprojekts WTimpact sind wir für das Bürger- wissenschaftsprojekt „Wildtierforscher in Berlin“ der Frage nachgegangen, welche Möglichkeiten zur Beteiligung am Forschungsprozess von Bür- gerinnen und Bürgern genutzt werden. 25

Eine mobil nutzbare Internetplattform stellt die technischen Ressourcen zur Sammlung von Daten aus Wildtierkame- ras sowie zur Auswertung der Wildtier- sichtungen im Zusammenhang mit Umweltvariablen zur Verfügung. · citizen science · Das Projekt „Wildtierforscher in Berlin“ Im Projekt „Wildtierforscher in Berlin“ haben sich Bürgerinnen und Bür- ger an der Sammlung von Daten zur Ökologie von Wildtieren in der Stadt beteiligt. Sie erfassten die Häufigkeit von Sichtungen terrestrischer Säu- getiere mithilfe von Kamerafallen, die sie im eigenen Garten aufgestellt hatten. Die Bürgerinnen und Bürger, die an dem Projekt teilnahmen, er- hielten zudem Zugang zur statistischen Auswertung der Daten. Dafür bot das Projekt eine Internetplattform an, auf der die Teilnehmenden von ihren Kamerafallen aufgenommene Bilder von Wildtieren hochla- den und die Tierarten bestimmen bzw. validieren konnten. Die Teil- nehmenden konnten außerdem die eigenen erfassten Daten oder den gesamten Datensatz auswerten und z. B. analysieren, welche Umwelt- variablen (wie Versiegelungsgrad und Baumbedeckung) die Verbreitung verschiedener Wildtierarten beeinflussen. Weiterhin konnten sie ihre Ergebnisse und Fragen mit anderen Teilnehmenden und den beteilig- ten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern im Forum diskutieren. Wie wird „Beteiligung“ gemessen? Die Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger haben wir mit Log-Files erhoben. Diese Log-Files beinhalten Daten, die Rückschlüsse über die Aktivitäten der Teilnehmenden auf der Internetplattform zulassen – z. B. darüber, wie häufig und für welchen Zeitraum bestimmte Seiten der Plattform besucht wurden. Die Aktivitäten auf der Internetplatt- form konnten entweder der Datensammlung (Bilder hochladen, bestim- men und validieren; Tutorial zur Bildbestimmung ansehen) oder der Datenauswertung (statistische Auswertungen durchführen; Ergebnisse im Forum hochladen und diskutieren) zugeordnet werden. Die in den Log-Files erfassten Aktivitäten haben wir hinsichtlich der Häufigkeit der aktiven Beteiligung (Aktivitätsquotient) und der Häufigkeit des passiven Stöberns auf der Internetplattform (Stöberquotient) für Datensammlung und -auswertung getrennt analysiert. ipn journal no 8 26

· citizen science · Tutorial gemacht = aktiver Tag (20 Minuten) nicht eingeloggt = verpasster Tag auf die Seite geschaut = passiver Tag Daten hochgeladen (und bearbeitet) = aktiver Tag (50 Minuten) Daten ausgewertet = aktiver Tag (10 Minuten) im Forum gelesen = passiver Tag (Stöbern) Datensammlung (Tage) Datenauswertung (Tage) 20‘ 50‘ 10' 1. Login letzter Login 1. Login letzter Login Projektdauer (Tage) Die Beteiligung im Projekt „Wildtierforscher in Berlin“ wurde in Log-Files erfasst, die zeigen, an welchen Tagen sich Teilnehmende auf der Internetplattform eingeloggt haben und aktiv waren. Der Aktivitätsquotient berechnet sich aus der Summe aktiver Tage geteilt durch die Summe aller Tage zwischen erstem und letztem Login. Der Stöberquotient berechnet sich aus der Summe passi- ver Tage geteilt durch die Summe aller Tage mit Login. Welche Möglichkeiten zur Beteiligung nutzten die forschenden Bürgerinnen und Bürger? Die Aktivitäten der Teilnehmenden wurden für drei ähnlich ablaufende Feldstudien im Projekt „Wildtierforscher in Ber- lin“ analysiert und zeigten abweichende Aktivitätsmuster für die Datensammlung und Datenauswertung. Dabei wur- den aus methodischen Gründen nur die Daten derjenigen Teilnehmenden analysiert, die der Nachverfolgung von Ak- tivitäten (Log-Files-Erhebung) zugestimmt und sich mindes- tens zwei Tage aktiv an der Datensammlung und -auswer- tung beteiligt hatten. In allen drei Feldstudien zeigte sich, dass die aktive Beteiligung während der Datensammlung höher war als während der Auswertung. Das passive Stöbern war während der Datensammlung niedriger als während der Datenauswertung. Die Befunde entsprechen den Ergebnissen vorheriger For- schung zu den Motiven von Projektteilnehmenden: Die Da- tensammlung ist von höherem Interesse als die Datenaus- wertung. Ferner zeigte sich im Vergleich zu einem anderen Bürgerwissenschaftsprojekt (Weather-it), in dem sich die Teilnehmenden bei der Sammlung von Wetter-Daten enga- gierten, dass die Aktivität im Projekt Wildtierforscher in Berlin insgesamt niedriger war, aber nur, wenn die gesamte Projektlaufzeit betrachtet wurde. Wenn allerdings die Akti- vitäten während der Datensammlung und Datenauswertung getrennt betrachtet wurden, zeigten die Teilnehmenden im Projekt „Wildtierforscher in Berlin“ für die Datensammlung eine vergleichbare Aktivität wie im Projekt Weather-it. 27

Feldstudie 1 (n1 = 61) Aktivität Stöbern Feldstudie 2 (n2 = 33) Aktivität Stöbern Feldstudie 3 (n3 = 28) Aktivität Stöbern Greving, H., Bruckermann, T. & Kimmerle, J. (2020). This is my project! The influence of involvement on psychological ownership and wildlife conservation. Current Research in Ecological and Social Psychology, 1, Artic- le 100001. https://doi.org/10.1016/j.cre- sp.2020.100001 · citizen science · Die Vergleiche der Aktivität während der Datensammlung und -auswertung beruhen auf zwei prozentualen Maßen, dem Aktivitäts- quotienten und dem Stöberquotienten. Sammlung Analyse t df p d [95% CI] M (SD) M (SD) 0.36 (.19) 0.11 (.15) 0.16 (0.10) 7.27 0.31 (0.21) −7.41 0.31 (0.19) 0.12 (0.07) 6.41 0.27 (0.15) 0.46 (0.24) −4.51 0.34 (0.23) 0.10 (0.05) 5.52 0.23 (0.15) 0.36 (0.24) −4.59 60 60 32 32 27 27 < .001 < .001 0.76 [0.39; 1.13] −0.95 [−1.32; −0.57] < .001 < .001 0.92 [0.42; 1.43] −1.08 [−1.60; −0.57] < .001 < .001 1.44 [0.61; 2.27] −0.68 [−1.41; −0.11] Anmerkungen: Ein mittlerer Aktivitätsquotient von M = 0.36 bedeutet, dass die Teilnehmen- den an 36 Prozent der Tage zwischen erstem und letztem Login aktiv waren. Ein mittlerer Stöberquotient von M = 0.11 bedeutet, dass die Teilnehmenden an 11 Prozent der Tage, an denen sie eingeloggt waren, keine Aktivität ausgeführt haben. Was bedeuten die Ergebnisse für die weitere Forschung? Aus den Ergebnissen ergeben sich weitere Fragen, die sowohl die Förderung von Beteiligung als auch Lerneffekte aus der Beteiligung in Bürgerwissenschaftspro- jekten betreffen. Wenn die Teilnehmenden vor allem in der Datensammlung ak- tiv sind, bleibt unklar, ob die bisher in Befragungen festgestellten Effekte von Bürgerwissenschaftsprojekten der Beteiligung an anspruchsvolleren Tätigkeiten wie der Datenauswertung zugeschrieben werden können. Weitere Forschung sollte daher die unterschiedlichen Arten der Beteiligung genauer betrachten. Au- ßerdem zeigen die Befunde, dass es vermutlich nicht reicht, den Teilnehmenden nur die Möglichkeit zum Engagement in verschiedenen Phasen des Forschungs- prozesses anzubieten, da sie hiervon wenig Gebrauch machen. Daraus ergibt sich die Frage, wie eine Beteiligung bei der Auswertung von Daten gefördert wer- den kann. Weitere Ergebnisse aus Laborstudien des Verbundprojekts WTimpact deuten darauf hin, dass insbesondere psychologisches Ownership an den Daten (d. h. das Gefühl, die Daten zu besitzen) und die wahrgenommene Rolle im Pro- jekt die aktive Beteiligung an der Auswertung von Daten fördern könnten. Zu- dem benötigen die Teilnehmenden möglicherweise auch eine stärkere Begleitung und Anleitung, um sich aktiver an der Datenauswertung zu beteiligen. ipn journal no 8 28

· citizen science · DAS PROJEKT WTIMPACT „WTimpact: Kollaborative Wissensentwicklung als Transfer- instrument – vom Wissenstransfer zum Wissensaustausch“ war ein Verbundprojekt des Leibniz-Instituts für Zoo- und Wildtierforschung (IZW) in Berlin, des Leibniz-Instituts für Troposphärenforschung (TROPOS) in Leipzig, des Leibniz- Instituts für Wissensmedien (IWM) in Tübingen und des Leibniz-Instituts für die Pädagogik der Naturwissenschaften und Mathematik (IPN) in Kiel. Es wurde vom Bundes- ministerium für Bildung und Forschung (BMBF) mit einer dreijährigen Laufzeit gefördert. Das Ziel des WTimpact-Projekts war es herauszufinden, welchen Einfluss Citizen Science auf die Teilnehmenden hat und wie man Bürgerwissenschaftsprojekte in Zukunft optimal gestalten kann. Wissenschaftlerinnen und Wissen- schaftler aus den Naturwissenschaften und der Bildungs- forschung arbeiteten zusammen, um ein Transferinstrument zu entwickeln und zu evaluieren, das die kollaborative Wissensentwicklung zwischen Öffentlichkeit und Wissen- schaft unterstützt. Prof. Dr. Till Bruckermann war Postdoktorand sowie wissenschaftlicher Mit- arbeiter in der Abteilung Didaktik der Biologie am IPN und ist nun an der Leibniz Universität Han- nover tätig. Im Projekt WTimpact untersuchte er die Beteiligung an Bürgerwissenschaftsprojekten sowie die Zusammenhänge zur Entwicklung eines Wissenschaftsverständnisses. Dr. Miriam Brandt ist Leiterin der Abteilung Wissenschafts- management am Leibniz-Institut für Zoo- und Wildtierforschung in Berlin. Sie leitete das Projekt WTimpact und ist an den Effekten von Bürgerwissenschaftsprojekten auf die Teilnehmerinnen und Teilnehmer interessiert. till.bruckermann@iew.uni-hannover.de brandt@izw-berlin.de Dr. Hannah Greving ist Postdoktorandin und wissenschaftliche Mitar- beiterin in der Arbeitsgruppe Wissenskonstrukti- on am Leibniz-Institut für Wissens- medien in Tübingen. Sie forschte im Projekt WTimpact zum Einfluss kollaborativer Wissensentwicklung auf Einstellung, Emotionen und Ownership h.greving@iwm-tuebingen.de Prof. Dr. Ute Harms ist Direktorin der Abteilung Didaktik der Bio- logie am IPN und leitete das WTimpact-Teil- projekt zum Einfluss des Transferinstruments auf Wissen und Wissenschaftsverständnis. harms@leibniz-ipn.de 29

· corona und die folgen für schulen · Im März 2020 wurde im Zusammenhang mit der CO- VID-19-Pandemie in allen Bundesländern der reguläre Schulbetrieb eingestellt. Die Schließung der Schulen und die damit verbundene Umstellung des Unterrichts auf ein Lehren und Lernen von zuhause aus, aber auch die Wieder- aufnahme des Schulbetriebs nach der mehrwöchigen Pause beanspruchten die Schulen in vielerlei Hinsicht. Die erneu- ten Schulschließungen im November 2020 stellten die Schu- len vor weitere Herausforderungen. Sie mussten und müssen tragfähige Lösungen finden, um diese Ausnahmesituationen zu bewältigen. Der Umgang mit der Situation bietet aber auch die Gelegenheit, Innovationen anzubahnen und die Er- fahrung aus der Krise für eine langfristige Weiterentwick- lung von Schule und Unterricht zu nutzen. 31

· corona und die folgen für schulen · Das IPN, die Universität Hamburg und die International As- sociation for the Evaluation of Educational Achievement (IEA) untersuchen mit einer Studie (KWiK – Kontinuität und Wandel der Schule in Krisenzeiten) den Veränderungspro- zess, der in Schulen durch die Pandemie verursacht wird. Mit dieser Studie werden Schulen langfristig begleitet und unterstützt. Dazu wurden im Sommer und Frühherbst 2020 zunächst rund 800 Schulleiterinnen und Schulleiter der Pri- marstufe und der Sekundarstufe I zu Schule in Zeiten der Corona-Pandemie und zu ihren Lösungsansätzen in der Schulpraxis befragt. Anfang März 2021 wurden die ersten wissenschaftlichen Erkenntnisse an die Schulen zurückge- meldet. Digitale Ausstattung der Familien: Benachteiligte Schülerinnen und Schüler benötigen Unterstützung Die Angaben der befragten Schulleiterinnen und Schulleiter können optimistisch stimmen, weisen aber auch Probleme aus. So schätzt auf der einen Seite rund die Hälfte der Befragten, dass eine große Mehrzahl der Eltern ihre Kinder beim häuslichen Lernen am digitalen Endgerät unterstützen können. Auf der anderen Seite geben fast zwei Drittel der befragten Schulleiterinnen und Schulleiter an, dass ihrer Einschätzung nach bis zu 20% der Schülerinnen und Schüler zuhause kein digitales Endgerät für das Distanzlernen zur Verfügung steht. Vor allem benachteiligte Schülerinnen und Schüler sind nach Einschätzung der Schulleitungen davon betroffen. Man kann sehen, dass Schulleitungen umso häufiger glauben, dass den Schülerinnen und Schülern zuhause kein Computer für das Lernen zur Verfügung steht, je mehr Kinder und Jugendliche mit Migrationshintergrund, sonderpädagogischem Förderbe- darf oder sozialer Benachteiligung an einer Schule sind. Diese Schülerinnen und Schüler benötigen Unterstützung, zum Beispiel durch die Bereitstellung von digitalen Endgeräten. » Je mehr sozial benachteiligte Schülerinnen und Schüler an einer Schule sind, desto größer die von den Lehrkräften nicht erreicht werden konnten. « ist der Anteil derjenigen, ipn journal no 8 32

· corona und die folgen für schulen · Erfahrungen im Lockdown: Die Kommunikation konnte aufrechterhalten werden, Schülerinnen und Schüler wurden von den Schulen erreicht Die Kommunikation während der Schulschließung im Frühjahr 2020 hat nach Einschätzung der befragten Schulleiterinnen und Schulleiter sowohl innerhalb des Kollegiums als auch mit der Elternschaft und den Schülerinnen und Schülern weitgehend reibungslos funktioniert. Grundschulen haben sich bei der Bereitstel- lung von Unterrichtsmaterialien mehr auf die Kernfächer konzentriert, während in der Sekundarstufe I versucht wurde, möglichst viele Fächer zu bedienen. Pri- marschulen haben bei der Übermittlung der Lehrmaterialien eher analoge Wege gewählt (Lehrkräfte bringen die Materialien vorbei, versenden diese per Post, oder die Kinder holen sie aus der Schule ab), während in der Sekundarstufe I häu- figer digitale Wege wie Datenaustauschportale oder die Übersendung per E-Mail gewählt wurden. Knapp 40% der befragten Schulleiterinnen und Schulleiter ge- ben an, dass alle Schülerinnen und Schüler erreicht wurden, knapp die Hälfte der Befragten geht davon aus, dass 90% erreicht werden konnten. Nur 3,6% der Schulleitungen geben an, dass weniger als 80% der Schülerinnen und Schüler er- reicht werden konnten. Es zeigt sich wieder der Zusammenhang mit Herkunfts- merkmalen der Schülerinnen und Schüler. Je mehr sozial benachteiligte Schüle- rinnen und Schüler an einer Schule sind, desto größer ist der Anteil derjenigen, die von den Lehrkräften nicht erreicht werden konnten. Dasselbe gilt für Kinder und Jugendliche mit Migrationshintergrund. Nach dem ersten Lockdown: Schulen gleichen durch Zusatzangebote Lernverluste aus Viele Schulen haben den Schülerinnen und Schülern nach der Wiederer- öffnung zusätzliche Angebote gemacht, um die während des Lockdowns erlittenen Lernverluste auszugleichen. Die Primarschulen nahmen mit den zusätzlichen Angeboten vor allem benachteiligte Schülerinnen und Schüler in den Blick, Schulen der Sekundarstufe I machten verstärkt Angebote, um Schülerinnen und Schüler mit geringen IT-Kenntnissen zu fördern. 33

· corona und die folgen für schulen · Schulen waren auf den zweiten Lockdown gut vorbereitet Fast alle (97%) der befragten Schulleiterinnen und Schulleiter geben an, sich nach der ersten pandemiebedingten Schulschließung auf einen erneuten Lockdown vorbereitet zu haben, und 94% (Sekundarstufe I) bzw. 84% (Primarstufe) geben an, sich auf weitere Phasen von Fernunterricht eingestellt zu haben. Dieser Be- fund stimmt optimistisch, dass die Schulen auch gut durch die schwierige Zeit im Frühjahr und Sommer 2021 kommen werden. Wie geht es mit KWiK weiter: Was noch kommt Dies waren zunächst die ersten Ergebnisse. In Kürze folgen Auswertungen zu den offenen Fragen im Fragebogen für die Schulleiterinnen und Schulleiter. In einem weiteren Schritt soll die Studie auf Lehrkräfte sowie gegebenenfalls auch auf Schülerinnen und Schüler und deren Eltern ausgeweitet werden. Die ersten Ergebnisse der KWiK-Studie sind kosten- frei herunterladbar: www.ipn.uni-kiel.de/de/das- ipn/nachrichten/KWiK_Ergebnisse.pdf Prof. Dr. Olaf Köller ist Geschäftsführender Wissenschaftlicher Direktor des IPN und Direktor der IPN-Ab- teilung Erziehungswissenschaft und Päda- gogische Psychologie. Er ist Studienleiter von KWiK. koeller@leibniz-ipn.de ipn journal no 8 34

Perspektiven durch internationale Schülerwettbewerbe – Schülerinnen und Schüler nehmen von der Inter- national Biology Olympiad mehr als schöne Erinnerungen mit welche fachlichen anforderungen müssen teilnehmerinnen und teilnehmer internationaler schülerwettbewerbe erfüllen und inwiefern bestärkt die teilnahme sie darin, einen beruf mit bezug zu den naturwissenschaften zu ergreifen? Sebastian Opitz Schülerwettbewerbe wie die ScienceOlympiaden, zu denen die International Biology Olympiad (IBO) zählt, haben sich zum Ziel gesetzt, besonders interessierte und begabte Schülerinnen und Schüler zu fördern. Die internationalen Schülerwettbewerbe werden von Politik, Wirtschaft und Wissenschaft in großem Umfang unterstützt und erreichen eine breite mediale Aufmerksamkeit. Untersuchungen des IPN sind den Fragen nachgegangen, welche fachlichen Anforderungen Schülerinnen und Schüler, die sich an der International Biology Olympiad beteiligen, erfüllen müssen und ob die Teilnehmerinnen und Teilnehmer durch den Wettbewerb auf eine fachlich wünschenswerte Weise beeinflusst werden. 35

Informationen zur International Biology Olym- piad finden sich auf www. ibo-info.org. Hier vermitteln z. B. Videos einen Eindruck von der beeindruckenden Wettbewerbswoche. · forschung zur international biology olympiad · Die International Biology Olympiad ist einer der renommiertesten Schüler- wettbewerbe in den Life Sciences. Hier treten Schüler und Schülerinnen der Sekundarstufen aus aktuell 76 Nationen in laborpraktischen Prüfungen und Multiple-Choice-Klausuren gegeneinander an. Aus fachlicher Sicht möchte die IBO eine Interessendifferenzierung mit Blick auf die spätere Karriere der Teil- nehmenden fördern. Darüber hinaus geht es um internationalen Austausch und das Ziel, zukünftige Führungskräfte zur Zusammenarbeit anzuregen. Die International Biology Olympiad – ein anspruchs- voller Wettbewerb Jedes Jahr richten wechselnde Gastgeberländer die International Biology Olym- piad aus. Schüler und Schülerinnen, die an der IBO teilnehmen, qualifizieren sich in mehreren, sukzessive schwerer werdenden nationalen Wettbewerbsrun- den. Analog zu den anderen ScienceOlympiaden ist der nationale Auswahlwett- bewerb für die deutsche IBO-Delegation am IPN beheimatet. Wer an der IBO teilnimmt, erbringt in aller Regel bereits vor der Teilnahme herausragende Leistungen im Fach Biologie. Ein Großteil der ehemaligen Teil- nehmerinnen und Teilnehmer von Wettbewerben wie der IBO erreicht später angesehene Positionen in Wissenschaft und Industrie. Durch die vorgeschalteten nationalen Auswahlrunden, in denen mehr als eine Million Schülerinnen und Schüler involviert sind, wird ein breites Leistungsspektrum angesprochen. Zu den Effekten des deutschen Auswahlwettbewerbs wird am IPN unter anderem auch im Projekt WinnerS geforscht, siehe Ausgabe 7 des IPN-Journals (https:// www.ipn.uni-kiel.de/de/publikationen/ipn-journal/ipn-journal-no-7). Obwohl Wettbewerbe wie die IBO eine hohe Reputation genießen, ist z. B. erstaunlich wenig darüber bekannt, wie die internationalen ScienceOlympiaden auf die Teilnehmerinnen und Teilnehmer wirken. Mit dieser übergeordneten Fra- gestellung und der Untersuchung weiterer Wirkungsweisen dieses Schülerwett- bewerbs hinsichtlich seiner verschiedenen Ebenen beschäftigt sich das Projekt IBOint. Zu zwei Teilfragen unserer Forschung möchten wir im Folgenden aus- gewählte Ergebnisse vorstellen. ipn journal no 8 36

· forschung zur international biology olympiad · Merkmale der Wettbewerbsaufgaben – Implikationen für den Schulunterricht Wir haben rund 700 laborpraktische und theoretische Aufgaben aus der IBO ana- lysiert und mithilfe eines Kategoriensystems hinsichtlich formaler, inhaltlicher und kognitiver Merkmale sowie mit Blick auf eingesetzte Abbildungen unter- sucht. Es zeigt sich beispielsweise, dass die Basiskonzepte, die in den Bildungs- standards für Biologie festgelegt sind (z. B. Struktur & Funktion; Stoff- & Ener- gieumwandlung), vollständig von den Aufgaben der IBO abgedeckt werden. Das ist insofern bemerkenswert, als dass diejenigen, die die Aufgaben entwickeln, in der Regel internationale Forscherinnen und Forscher aus dem Fach Biologie sind, die im Allgemeinen nicht mit den deutschen Bildungsstandards vertraut sind. Sie entwickeln Aufgaben für ein internationales Publikum mit dem primären Ziel, aktuelle biologische Forschung aufzugreifen. Wir interpretieren dieses Ergebnis dahingehend, dass es die inhaltliche Validität der Basiskonzepte der Bildungs- standards für Biologie unterstützt. Zudem haben wir in der Studie untersucht, inwiefern IBO-Aufgaben die Anwendung wissenschaftlicher Denk-und Arbeitsweisen erfordern. Hier zeigte sich: Der Großteil der Aufgaben erfordert die Analyse von Daten, während an- dere Praktiken wie etwa das Ableiten biologischer Fragen, die Entwicklung und Nutzung von Modellen, das Argumentieren oder die Entwicklung von Untersu- chungsansätzen entweder nicht, nur in eingeschränkter Form oder nur im Rah- men der praktischen Prüfungen im Labor angewandt werden. Es wird dabei auch deutlich, dass praktische Prüfungen und theoretische Klausuren unterschiedlich geeignet sind, verschiedene Aspekte biologischer Kompetenz zu prüfen. ) % ( n e b a g f u A r e d l i e t n A 100 90 80 70 60 50 40 30 20 10 0 Opitz, S. & Harms, U. (2020). Assessing high performers in the life sciences: Characteri- stics of exams used at the In- ternational Biology Olympiad (IBO) and their implications for life science education. CBE - Life Sciences Education, 19(4), Article 55. https://doi. org/10.1187/cbe.19-10-0215 Bei der IBO verwendete Multiple- Choice-Aufgaben („Theorie“) und laborprak- tische Aufgaben („Praktika“) aus verschie- denen Jahren von 1993 bis 2017 (Praktika als Mittelwert: M) bilden wissenschaftliche Denk-und Arbeitsweisen ab. Die ausgewähl- ten IBO-Jahrgänge stehen für historisch grob unterscheidbare Phasen in der Entwicklung der IBO-Examina. Die Daten legen die Ver- mutung nahe, dass die Variation zwischen den Examina einzelner IBO-Jahre deutlich stärker ausgeprägt ist als die Variation zwi- schen den größeren historischen Phasen. Das bedeutet, dass die Art der Examina einer IBO bedeutend von den jährlich wechselnden Ent- wickler-Teams der einzelnen IBOs abhängt. 3 9 9 1 8 9 9 1 9 0 0 2 3 1 0 2 4 1 0 2 7 1 0 2 3 9 9 1 8 9 9 1 9 0 0 2 3 1 0 2 4 1 0 2 7 1 0 2 3 9 9 1 8 9 9 1 9 0 0 2 3 1 0 2 4 1 0 2 7 1 0 2 3 9 9 1 8 9 9 1 9 0 0 2 3 1 0 2 4 1 0 2 7 1 0 2 3 9 9 1 8 9 9 1 9 0 0 2 3 1 0 2 4 1 0 2 7 1 0 2 3 9 9 1 8 9 9 1 9 0 0 2 3 1 0 2 4 1 0 2 7 1 0 2 3 9 9 1 8 9 9 1 9 0 0 2 3 1 0 2 4 1 0 2 7 1 0 2 3 9 9 1 8 9 9 1 9 0 0 2 3 1 0 2 4 1 0 2 7 1 0 2 ) M ( a k i t k a r P e i r o e h T ) M ( a k i t k a r P e i r o e h T ) M ( a k i t k a r P e i r o e h T ) M ( a k i t k a r P e i r o e h T ) M ( a k i t k a r P e i r o e h T ) M ( a k i t k a r P e i r o e h T ) M ( a k i t k a r P e i r o e h T ) M ( a k i t k a r P e i r o e h T Fragen stellen und Probleme definieren Modelle ent- wickeln und nutzen Experimente planen und durchführen Daten analysie- ren und nutzen Mathematisches und Rechner ge- stütztes Denken Erklärungen konstruieren Argumentieren auf Basis von Evidenz Informationen beschaffen, evaluieren und kommunizieren 37

· forschung zur international biology olympiad · Zunächst weisen die Ergebnisse auf Entwicklungspotenziale für das Regelwerk der IBO hin, in dem festgelegt ist, was die Examen des Wettbewerbs abdecken sol- len. Auch für Regelschulen lassen sich Implikationen ableiten: In den IBO-Aufga- ben wird ein starker Fokus auf Datenanalysen gelegt, das heißt, die internationale Jury der IBO sieht es als essenziell an, dass Personen, die später in den Lebens- wissenschaften arbeiten wollen, Kernaussagen von Abbildungen schnell erfas- sen können. Diese Fähigkeit ist – auf einfacherem Level – auch für eine größere Gruppe von Schülerinnen und Schülern wichtig und sollte in den Schulen mehr geübt werden. Seit ihren Anfängen vor über 30 Jahren konzipiert die IBO syste- matisch sowohl laborpraktische Prüfungen als auch theoretische Klausuren. Die IBO macht damit deutlich, dass die Fähigkeiten, Wissen in praktischen Aktivitä- ten anzuwenden und sich selbst Wissen zu erschließen, essenzieller Bestandteil biologischer Kompetenz sind. Wichtige Leistungsprüfungen sollten entsprechend auch im Regelschulbetrieb vermehrt prozedurale Aspekte der Leistungsfähigkeit von Schülerinnen und Schülern abdecken. Förderung fachlich relevanter Eigenschaften Die Untersuchung ist auch der Frage nachgegangen, ob durch die Teilnahme an der IBO fachlich relevante Eigenschaften bei den Jugendlichen gefördert werden. „Fachlich relevant“ bezieht sich hier auf Merkmale von Schülerinnen und Schü- lern, die ihre Leistung in den Naturwissenschaften – beispielsweise mit Blick auf eine spätere Karriere in den Lebenswissenschaften – bedeutsam beeinflussen kön- nen. Hierzu zählen etwa das fachspezifische Selbstkonzept (also das Selbstver- trauen in die eigenen Fähigkeiten im Fach Biologie), fachliche Interessen, fachli- che Ziele oder spätere Berufswünsche. η2 = .18 8.00 7.00 6.00 5.00 4.00 8.00 7.00 6.00 5.00 4.00 t p e z n o k t s b l e S t r e w l e t t i M n e g a s r e V r o v t s g n A t r e w l e t t i M Veränderung des Selbstkonzepts (F (2, 85) = 9.41, p < 0.001, par. η² = 0.18) und der Angst vor Versagen (F (2, 172) = 4.35, p = 0.014, par. η² = 0.05) im Rahmen der Teilnahme an der IBO. η² = Effektstärke; Pre = Messung direkt vor der IBO; Post = direkt nach der IBO; Delay = rund vier Monate nach der IBO. PRE POST DELAY η2 = .05 PRE POST DELAY ipn journal no 8 38

· forschung zur international biology olympiad · Wir haben, basierend auf theoretisch angenommenen Variablen (z. B. Münche- ner Hochbegabungsmodell), Teilnehmerinnen und Teilnehmer der International Biology Olympiad der Jahre 2018 und 2019 jeweils direkt vor, direkt nach sowie circa vier Monate im Anschluss an ihre IBO-Teilnahme gebeten, standardisierte Fragebögen zu diesen Variablen auszufüllen. Insgesamt haben wir Daten von 154 Schülerinnen und Schülern aus 45 Ländern analysiert. Die Ergebnisse zeigen, dass die Wettbewerbsteilnahme mehrere Variablen beeinflusst, die z. B. für ein späteres Biologiestudium wichtig sein können. So scheint die Teilnahme an der IBO das ohnehin schon hohe biologische Selbstkon- zept der Teilnehmerinnen und Teilnehmer weiter positiv zu beeinflussen. Analog scheint die Angst, in anstrengenden Situationen zu versagen, nach der Teilnahme am internationalen Wettbewerb eine kleinere Rolle zu spielen. Die durchgeführte Studie hat methodische Einschränkungen: Zum Beispiel ist eine sinnvolle Kontrollgruppe auf dem Niveau der Teilnehmerinnen und Teil- nehmer der IBO kaum realisierbar. Dennoch bewerten wir die beobachtbaren Trends grundsätzlich positiv. Denn die Jugendlichen, die an dem internationalen Wettbewerb teilgenommen haben, besaßen schon vor der IBO-Teilnahme vor- teilhafte Ausprägungen in den beobachteten Variablen und wurden darin wei- ter bestärkt. Wir hoffen entsprechend, dass sich viele der Teilnehmerinnen und Teilnehmer durch den Wettbewerb bestätigt fühlen, eine berufliche Karriere in den Lebenswissenschaften anzustreben, und dass einzelne später Beiträge leis- ten, die die Disziplin substanziell voranbringen. Dr. Sebastian Opitz ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am IPN in der Abteilung Didaktik der Biologie. Im Projekt IBOint erforscht er Effekte der International Biology Olympiad). Darüber hinaus leitet er seit dem Jahr 2017 das in Kiel beheimatete Sekretariat der IBO, in dem Verwaltung, Kooperati- on und Entwicklung des Wettbewerbs koordiniert werden. opitz@leibniz-ipn.de 39

· mathematikangst bei schülerinnen und schülern · Angst vor Mathematik, kurz Mathematikangst, äußert sich in Situationen, in denen es um Zahlen und mathematische Berechnungen geht. Bei Kindern und Jugendlichen tritt sie zumeist in der Schule im Mathematikunterricht auf. Das Problem ist allgegenwärtig und nicht auf Deutschland begrenzt. Aus internationalen Vergleichsstudien wie PISA geht hervor, dass sich rund 30% der 15-jährigen Schülerinnen und Schüler bei der Bearbeitung von Mathematikaufgaben hilflos, nervös und angespannt fühlen. Rund 60% der Jugendlichen fürchten, schlechte Mathematikleistungen zu erbringen. Mathematikangst geht einher mit unangenehmen emotionalen und physischen Reaktionen wie Aufgeregtheit, Sich-Unwohl-Fühlen, Anspannung und Sorgen. Diese Reaktionen können dazu führen, dass sich die betroffenen Schülerinnen und Schüler in der Schule unwohl fühlen. Es gibt zahlreiche Studien, die einen Zusammenhang zwischen Mathematikangst und geringen Mathematikleistungen beschreiben. Ob Mathematikangst eine Folge von oder die Ur- sache für schlechte Leistungen in Mathematik ist, ist bislang unklar und war Gegenstand der hier beschriebenen Studie. Darüber hinaus geht die Studie auch der Frage nach, ob das Verhalten von Lehrkräften im Unterricht Mathematikangst und deren negative Folgen verringern kann. In der hier beschriebenen Untersuchung wur- den 1559 Schülerinnen und Schüler im Hinblick auf den Mathematikunterricht befragt. In der 5. Klassenstufe gaben sie erstmals Auskunft darü- ber, wie besorgt (z. B. „Sorgen vor der Mathema- tikarbeit, dass alles vergessen ist, was geübt wur- de“) und wie aufgeregt sie sind (z. B. „Aufgeregt beim Nachfragen im Mathematikunterricht“). Darüber hinaus berichteten die Schülerinnen und Schüler, inwieweit sie ihre Mathematiklehr- kraft ihnen gegenüber als aufmerksam und unter- stützend wahrnehmen, also als sensitiv für ihre Gefühle und Verständnisschwierigkeiten (z. B. „Mein Mathematiklehrer merkt, wenn ich etwas nicht richtig verstehe“ / „Mein Mathematikleh- rer sieht gar nicht, wenn ich Angst habe“). Um die Mathematikleistungen der befragten Schüle- rinnen und Schüler einschätzen zu können, ab- solvierten sie standardisierte Mathematiktests, ihre Zeugnisnoten im Fach Mathematik wurden ebenfalls einbezogen. Die Befragungen und Tes- tungen wurden in der 6. und 7. Klassenstufe er- neut durchgeführt, um Aussagen über das Wech- selspiel von Mathematikangst und -leistung im Verlauf von drei Schuljahren treffen zu können. Mathematikleistung, Besorgtheit und Aufgeregtheit beeinflussen sich wechselseitig Schülerinnen und Schüler, die sich häufig sorg- ten und eine verstärkte Aufgeregtheit an den Tag legten, erzielten im darauffolgenden Schuljahr geringere Lerngewinne. Dies war sowohl in den Leistungstests als auch an den Mathematiknoten zu sehen. Umgekehrt wiesen diejenigen Schüle- rinnen und Schüler, die eine geringere Leistung zeigten, beim nächsten Befragungszeitpunkt eine höhere Mathematikangst auf. Dieser Befund gilt besonders für den Aspekt der Besorgtheit. Bei dem Aspekt der Aufgeregtheit war der Zusam- menhang geringer ausgeprägt. Theoretische Modelle zu den Konsequenzen von Mathematikangst legen nahe, dass Schülerin- nen und Schüler, die sich viele Sorgen machen, schlechtere Leistungen erbringen, weil negative Gedanken die Kapazität des Arbeitsgedächtnisses beeinträchtigen. Durch schlechte Leistungen und häufige Misserfolge verlieren die Schülerinnen und Schüler weiter an Zuversicht, ihre Situation verbessern zu können. Der daraus resultierende Kontrollverlust wiederum verstärkt die Mathema- tikangst. Ein Ansatzpunkt zum Überwinden die- ser Negativspirale könnten Hilfen z. B. in Form von Interventionsprogrammen sein, die an den negativen Gedankengängen der Schülerinnen und Schüler ansetzen. Doch gibt es über diese forma- len Angebote hinaus Möglichkeiten, wie Lehr- kräfte zur Reduktion von Mathematikangst bei- tragen können? 41

· mathematikangst bei schülerinnen und schülern · 5. Klasse 6. Klasse 7. Klasse Mathematikleistung Mathematikleistung Mathematikleistung Mathematikangst Mathematikangst Mathematikangst Sensitivität der Lehrkräfte Sensitivität der Lehrkräfte Sensitivität der Lehrkräfte Untersuchungsdesign mit drei Messzeitpunkten in der 5., 6. und 7. Klasse, wobei die grauen Pfeile die Stabilität von Mathematikleistung und -angst über diesen Zeitraum veranschaulichen. Pfeile in blau stellen den angenommenen Zusammenhang einer geringen Mathe- matikleistung und einer Erhöhung der Mathematikangst dar und umgekehrt beschreiben orangefarbene Pfeile die erwartete Assozia- tion zwischen einer hohen Mathematikangst und einer Verringerung der Mathematikleistung über die Zeit. Pfeile in Grün stellen die erwar- teten Effekte der Sensitivität der aktuellen Mathematiklehrkraft auf die Mathematikangst dar. Sensitivität bei den Lehrkräften ist gefragt In den untersuchten 6. und 7. Klassenstufen ver- ringerte sich die Mathematikangst auf Seiten der Schülerinnen und Schüler, wenn sie den Ein- druck gewinnen konnten, dass ihre Mathema- tiklehrkraft aufmerksam und unterstützend auf ihre Gefühle und Verständnisschwierigkeiten re- agierte. Diese Beobachtung wurde von den El- tern bestätigt: Wenn die Jugendlichen ihre Ma- thematiklehrkraft als sensitiv für ihre Gefühle und Verständnisschwierigkeiten wahrnahmen, berichteten auch die Eltern, dass sie ihr Kind we- niger besorgt und weniger aufgeregt in Bezug auf die Mathematik erlebten. ipn journal no 8 42 Wie sieht es bei den Schülerinnen und Schü- lern aus, die in Bezug auf Mathematik besonders ängstlich und leistungsschwach sind? Profitie- ren sie stärker von einer sensitiven Lehrkraft, so- dass sich die Diskrepanz zu ihren Klassenkame- radinnen und Klassenkameraden verringert? Dies können die Analysen nicht bestätigen. Leistungs- schwache Schülerinnen und Schüler profitieren nicht stärker von der Sensitivität ihrer Lehrkraft als ihre leistungsstärkeren Klassenkameradinnen und -kameraden. Andersherum ausgedrückt: Die Sensitivität einer Lehrkraft ist für alle Schülerin- nen und Schüler gleichermaßen effektiv. Es kann nur gemutmaßt werden, warum sich diese Befunde nicht für die Kinder der 5. Klassen- stufe bestätigen lassen. Eventuell spielen direkt nach dem Übergang in die weiterführende Schule bei Schülerinnen und Schülern andere Faktoren eine Rolle, wie z. B. die neu zusammengesetzte Klassengemeinschaft oder die veränderten Leis- tungsanforderungen.

· mathematikangst bei schülerinnen und schülern · » Lehrkräfte können dadurch, dass sie aufmerksam auf Verständnisschwierigkeiten und negative Gefühle reagieren, dazu bei- tragen, die Abwärtsspirale zu unterbrechen. « Die dargestellten Befunde unterliegen gewissen Einschrän- kungen. Die Beziehungen zwischen Angst und Leistungen bei den Schülerinnen und Schülern auf der einen Seite und die Sensitivität der Lehrkraft auf der anderen Seite können von der Klassenstufe oder dem Schulsystem abhängen. Bei- spielsweise könnte die Sensitivität der Lehrkraft insbeson- dere in Schulsystemen mit hohem Leistungsdruck wichtig sein. Außerdem kann aufgrund der Anlage der Studie nicht ausgeschlossen werden, dass eine Verringerung der Mathe- matikangst bei den Schülerinnen und Schülern dazu führ- te, dass sie die Sensitivität ihrer Lehrkräfte positiver wahr- nahmen. Und letztlich muss darauf hingewiesen werden, dass der beschriebene Effekt der Sensitivität bei Lehrkräften klein war, sodass Schülerinnen und Schüler mit ausgepräg- ter Mathematikangst weitergehende Hilfen benötigen, z. B. in Form individueller Lerntherapien. Fazit Mathematikangst ist ein entscheidender Faktor für die Bil- dungslaufbahn von Schülerinnen und Schülern. Sorgen so- wie negative Gefühle und Reaktionen in Bezug auf Ma- thematik verringern ihre Leistung in dem Fach. Schlechte Leistungen führen wiederum zu einem weiteren Anstieg der Mathematikangst. Lehrkräfte können dadurch, dass sie aufmerksam und unterstützend auf Verständnisschwierig- keiten und negative Gefühle auf Seiten der Schülerinnen und Schüler reagieren, dazu beitragen, diese Abwärtsspi- rale zu unterbrechen. 43 Aldrup, K., Klusmann, U., & Lüdtke, O. (2020). Reciprocal associations between students’ mathematics anxiety and achievement: Can teacher sensitivity make a difference? Journal of Educational Psychology, 112(4), 735-750. https://doi.org/10.1037/edu0000398 Diese Publikation basiert auf Daten, die im Rahmen des DFG-Projekts „Bildungsprozesse, Kompetenzentwicklung und Selektionsent- scheidungen im Vorschul- und Schulalter“ (BiKS-8-14; Artelt, Blossfeld, Faust, Roßbach & Weinert, 2013) erhoben wurden. Der Datensatz wurde vom Forschungsdatenzentrum (FDZ) am Institut zur Qualitätsentwicklung im Bildungs- wesen (IQB) zur Verfügung gestellt. Dr. Karen Aldrup ist wissenschaftliche Mitarbeiterin der Abteilung Erziehungswissenschaft und Pädagogische Psycho- logie am IPN. Die Diplom-Psychologin beschäftigt sich vornehmlich mit Fragen zur Lehrer-Schüler-Be- ziehung und mit der sozial-emotionalen Kompetenz von Lehrkräften und ihren Effekten auf das beruf- liche Wohlbefinden von Lehrkräften sowie auf die Entwicklung der Schülerinnen und Schüler. aldrup@leibniz-ipn.de

Welche Rolle spielt Bildung für klimafreundliches Handeln? der projektverbund „CLiF@IPN“ stellt sich vor Hanno Michel, Carola Garrecht, Kathryn Leve und Ute Harms Der menschengemachte Klimawandel ist und bleibt eine der größten Herausforderungen unserer globalen Gesellschaft. Während laufend neue Lösungsansätze entwickelt und diskutiert werden, stoßen wir bei deren Umsetzung – also dem tatsächlichen klimafreundlichen Handeln – zunehmend an die Grenzen dessen, was gesellschaftlich unterstützt und mitgetragen wird. Auch auf individueller Ebene geben oft Wünsche nach persönlicher Freiheit, Bequemlichkeit oder niedrigeren Kosten den Ausschlag für unser Handeln und nicht der Klimaschutz, so etwa bei Flugreisen, der Wahl des Stromanbieters oder beim Autokauf. ipn journal no 8 44

· climate literacy in focus · Gemeinsam gesetzte Ziele – ob in internationalen Verein- barungen oder auch im lokalen Kontext als Ziele einer Stadt oder Kommune – stehen oft scheinbar im Gegensatz zueinan- der. Dies führt zu Unsicherheiten, den einen „richtigen“ Weg gibt es oft nicht. Vielmehr müssen wir Kompromisse (für un- ser individuelles wie auch für kollektives Handeln) aushan- deln, die ihrerseits eine Bereitschaft zum Dialog und Strate- gien zur Bewusstmachung eigener und fremder Interessen sowie deren Bewertung erfordern. Die Befähigung zum Um- gang mit solchen Unsicherheiten und die Vermittlung von Wissen und Strategien zur Lösungsfindung sind zentrale Zie- le einer Climate Literacy, also einer „Klima-Grundbildung“, die neben Wissen auch Fähigkeiten vermitteln und zur kri- tischen Auseinandersetzung mit den eigenen Einstellungen anregen will. Kontext: kulturell, politisch, familiär Lerngelegenheiten Climate Literacy Formale Lerngelegenheiten Non-formale Lerngelegenheiten Bildungs- prozesse Risiko- Klimawissen Fähigkeiten wahrnehmung Einstellungen Handlungs- intention Risiko- wahrnehmung Klimafreundliches Verhalten Mobilitätsverhalten Konsumverhalten Energienutzung Indivi- duelle Effekte Soziale Effekte Globale Effekte Persönlichkeitsmerkmale: Alter, Gender, Bildungsniveau, Umweltschutzengagement, Interesse an Naturwissenschaften, Unsicherheitsintoleranz Heuristisches Modell zur Förderung und Wirkung von Climate Literacy. Inwieweit sich Climate Literacy letztlich aber auf klima- freundliches Verhalten auswirkt oder ob dieses vor allem durch Wertorientierungen, das persönliche Umfeld oder an- dere Faktoren, die sich nicht oder nur schwer durch Bildung beeinflussen lassen, bestimmt wird, ist bislang nur in Teilen geklärt. Im Projektverbund CLiF – Climate Literacy in Focus, welcher aktuell vier Einzelprojekte am IPN umfasst, wollen wir die Rolle schulischer und außerschulischer Bildung für klimafreundliches Handeln detailliert und multiperspekti- visch untersuchen und auf Basis unserer Ergebnisse stärken. 45

· climate literacy in focus · Aufgabenkontext, der einem bestimmten fachlichen Grund- prinzip von Climate Literacy zugeordnet ist Einführungstext, welcher den Kontext der Aufgabe kurz skizziert und (wenn nötig) wichtige Fachwörter erklärt pause der globalen erwärmung Zu Beginn des 21. Jahrhunderts wurde darüber diskutiert, ob die globale Erwärmung zum Stillstand gekommen ist. Die Diskussion wurde durch ungewöhnliche Oberflächentemperaturen ausgelöst. Ne- ben der Erhöhung der globalen Temperatur verursacht der Klimawandel auch einen Anstieg des Mee- resspiegels. Der Anstieg des Meeresspiegels ist sowohl auf das Schmelzen von Landeis als auch auf die thermische Ausdehnung der Ozeane zurückzuführen. Veränderung der durchschnittlichen Oberflächen- temperatur von Landflächen und Ozeanen in °C. Abbildungen mit Datenmaterial aus öffent- lich zugänglichen Quellen (in diesem Fall dem IPCC Synthesis Report 2014). Dies sind also Daten und Darstellungsformen, wie sie von Schülerinnen und Schülern vorgefunden werden, wenn diese sich im Internet über den Klimawandel informieren. Globale Veränderung des Meeresspiegels in Metern, Farben symbolisieren verschiedene Mess- standorte. bitte kreuzen sie an, welche der nachfolgenden aussagen richtig und welche falsch sind. Richtig Falsch Die globale Erwärmung kam zu Beginn des 21. Jahrhunderts zum Erliegen. Es kam in dieser Zeit im Mittel zu keiner weiteren Temperaturerhöhung. Die globale Erwärmung wurde zu Beginn des 21. Jahrhunderts nicht unter- brochen, sondern Wärmeenergie im großen Umfang durch Ozeane aufge- nommen. x Ozeane haben nur eine geringe Wärmespeicherkapazität, weil stabile Tem- peraturschichten die Temperaturzunahme des tieferen Ozeans verhindern. x x Der Meeresspiegelanstieg ist ein verlässlicheres Maß für die globale Erwär- mung, weil der Meeresspiegelanstieg in geringerem Maße schwankt als die Oberflächentemperatur. x ipn journal no 8 46

· climate literacy in focus · Als Grundlage unserer Arbeiten dient ein heuristisches Modell, welches Elemente verschiedener etablierter Wirk- modelle aus Bildungswissenschaft und Psychologie zusam- menführt (Integriertes Handlungsmodell nach Martens und Rost; Erwartungs-Wert-Modell nach Eccles und Wigfield; Angebots-Nutzungs-Modell nach Helmke). Dieses Modell er- klärt hypothetisch, wie sich Lerngelegenheiten neben einer Vielzahl anderer Faktoren auf Climate Literacy, auf entspre- chende Handlungsintentionen und schließlich auf klima- freundliches Handeln und die Beteiligung an gesellschaft- lichen Entscheidungsprozessen auswirken. So zeigen etwa Forschungsarbeiten aus der Umweltpsychologie, Soziolo- gie und Bildungswissenschaft: Wissen über das Klimasys- tem und die Faktoren, die zu dessen Veränderung führen (im Modell Klimawissen), sowie etwa die Fähigkeit, Daten zu analysieren oder Informationen recherchieren und be- werten zu können (Fähigkeiten), helfen, sich informiert in Diskussionen einzubringen und Entscheidungen zu treffen. Ein Verständnis der Folgen des Klimawandels, insbesonde- re der Risiken und Gefahren auch für das eigene Umfeld (Risikowahrnehmung), hat einen Einfluss darauf, ob jemand klimafreundlich handelt. Aber auch Einstellungen und Wertorientierungen (im Modell Einstellungen), die wiede- rum von Alter und Bildungsniveau, von familiärem und kulturellem Hintergrund abhängen, können bestimmen, wie sich jemand verhält. Im Projektverbund CLiF wollen wir dieses Modell schrittweise überprüfen, weiterentwickeln und Kriterien für die Gestaltung von Unterricht sowie anderer Bildungs- und Beteiligungsformate ableiten. Antwortoptionen: Um die Ratewahrschein- lichkeit zu reduzieren, wird eine Aufgabe nur dann als ge- meistert gewertet, wenn alle vier Aussagen korrekt als „richtig“ oder „falsch“ eingeordnet wurden. Vorarbeiten: Wie misst man Climate Literacy? CLiF schließt an bereits bestehende Kooperationen aus dem im Rahmen des Leib- niz-Forschungsverbunds Energiewende durchgeführten Projekt ReNEW - Research Network on Energy Transition an und baut auf Arbeiten aus dem IPN-Projekt Ener- gyBio auf, in dem untersucht wurde, welche Rolle das Verständnis des Energie- konzepts für ein Verständnis von Ursachen und Auswirkungen des Klimawandels spielt. Um dabei nicht nur Wissen, sondern auch Fähigkeiten von Schülerinnen und Schülern als Teil von Climate Literacy betrachten zu können, wurden Auf- gaben entwickelt, die jeweils einen Aspekt von Klimawissen mit einer im Kon- text des Klimawandels bedeutenden Fähigkeit (z. B. Datenanalyse, Quellenbe- wertung, Argumentationsvermögen) verknüpfen und die nun im Rahmen der CLiF-Projekte eingesetzt werden. Eine solche Aufgabe sieht beispielsweise wie links dargstellt aus. 47

· climate literacy in focus · Auf den folgenden Seiten werden die einzelnen Projekte des Projektverbunds CLiF – Climate Literacy in Focus vorgestellt. Auf der darauffolgenden Doppelseite verdeutlichen wir, wie sich die Projekte in das auf Seite 46 dargestellte Wirkmodell einordnen lassen und welche Zusammenhänge sie untersuchen. BriCCS: Welche Rolle spielt Risikowahrnehmung für Lernprozesse? Im Projekt BriCCS (Bringing Climate Change to School) arbeiten wir eng mit Wis- senschaftlerinnen und Wissenschaftlern der Universität Karlstad in Schweden zusammen. Ziel ist es herauszustellen, wie Bildungsan- gebote im Sinne einer Climate Literacy so ge- staltet werden können, dass sie neben Wis- sen und Fähigkeiten auch ein Bewusstsein für die Risiken des Klimawandels vermitteln und dadurch die Motivation, klimafreund- lich zu handeln, stärken. Das erste Teilziel besteht darin, das Zusammenspiel der ver- schiedenen Aspekte einer Climate Literacy (Wissen, Fähigkeiten, motivationale Fakto- ren) zu untersuchen. Daran anknüpfend un- tersuchen wir, welche Aspekte von Climate Literacy insbesondere solche Personen cha- rakterisieren, die bereits klimaschonend le- ben und sich auch aktiv für eine entspre- chende Lebensweise einsetzen (z. B. in der Fridays-for-Future-Bewegung). In beiden Teilstudien befragen wir auch Lehrkräfte, um die Bedeutung und den Ein- satz des Themas in den verschiedenen Unter- richtsfächern zu erfassen. Der naturwissen- schaftliche Unterricht in der Schule legt den Grundstein für eine lebenslange Entwick- lung von Wissen und Fähigkeiten, die zur Bewältigung des Klimawandels und seiner Auswirkungen erforderlich sind. Bisher fehlen empirisch gesicherte Er- gebnisse, die zeigen, welche Merkmale von Lerngelegenheiten im naturwissenschaftli- chen Unterricht für die Unterstützung von Climate Literacy relevant sind. Aufbauend auf den Ergebnissen der ersten beiden Teilstu- dien sollen im BriCCS-Projekt entsprechend entwickelte Lerngelegenheiten in Interven- tionsstudien auf ihre Effektivität hin unter- sucht werden. AUFRUF: Wir würden uns sehr freuen, wenn Sie bereit wären, uns in unserer Forschung zu unterstützen, indem Sie an unserer Online-Befragung teilnehmen. Sie finden den Fragebogen unter https://bit.ly/3avxKQN. Bitte bringen Sie dafür ca. 30 Minuten Zeit mit. ipn journal no 8 48

· climate literacy in focus · SaerbeckPLUS: Was muss ich wissen, um mich an der Energiewende beteiligen zu können? In Kooperation mit dem Förderverein der Klimakommune Saerbeck im Münsterland untersuchen wir im Projekt Saer- beckPLUS die Rolle von Climate Literacy für die Beteiligung an lokalen Energiewendemaßnahmen und zu kommunalem Wis- senstransfer. In einem Citizen-Science-Projekt können Bürgerinnen und Bürger in Saerbeck mittels mobiler Umweltmessstationen lo- kale Problemstellen und Herausforderungen für eine erfolgrei- che Verkehrswende identifizieren, anschließend erarbeiten sie gemeinsam Lösungsvorschläge. Um dabei für das notwendige Know-how zu sorgen, werden in Experten-Workshops Wissen und Fähigkeiten vermittelt, die bei der Bearbeitung der selbst- gewählten Themen helfen können. Durch Fragebogenuntersu- chungen vor und nach dem Projekt sowie durch Interviews mit Akteuren der Klimakommune wird untersucht, welche Rol- le Climate Literacy und entsprechender Wissenstransfer auch über die Schulzeit hinaus für eine erfolgreiche Einbindung in kommunale Klimaschutzmaßnahmen spielen. Aus den Erfah- rungen des Citizen-Science-Projekts, den begleitenden Studi- en und den vielen bereits in Saerbeck erfolgreich umgesetzten Energiewendemaßnahmen soll schließlich ein kriteriengelei- teter Handlungsleitfaden entstehen. Ziel ist es, dass andere Kommunen den Weg Saerbecks zur Klimakommune nachvollziehen können und dafür eine Road- map an die Hand bekommen. 49

· climate literacy in focus · EnergieweltenPLUS: Was ist guter Unterricht zum Klimawandel und wie kann man ihn lernen? Wenn Climate Literacy eine der Grundlagen für kli- mafreundliches Handeln und die Beteiligung an gesellschaftlichen Entscheidungsprozessen ist, so sollte diese auch im Unterricht entsprechend be- rücksichtigt werden. Eine besondere Herausfor- derung ist dabei, dass sich der Klimawandel und seine Ursachen und Folgen nicht einem einzigen Unterrichtsfach zuordnen lassen, sondern stark in- terdisziplinär sind. Dies spricht für eine Ausein- andersetzung mit dem Thema über Fächergrenzen hinweg, was sich nicht immer ganz unkompliziert gestaltet. Welche Aspekte sollten in welchen Fä- chern behandelt werden? In welchen Jahrgängen sind die Grundlagen des Themas den Lernenden zugänglich und welche Alltagsvorstellungen brin- gen diese mit? Welche Instruktionsstrategien und Methoden eignen sich besonders? Im Projekt EnergieweltenPLUS befassen wir uns mit diesen Fragen in einer mehrstufigen Experten- befragung (Delphi-Studie). Auf Basis der Ergebnis- se werden schließlich Module für die Lehrkräfte- bildung entwickelt, welche wir in Kooperation mit dem Zentrum für schulpraktische Lehreraus- bildung Münster implementieren und evaluieren. Zeitgleich wird das bestehende Modulangebot des außerschulischen Lernorts Saerbecker Energiewel- ten weiterentwickelt und evaluiert. Ziel ist auch hier, die Grundlage für einen Wissenstransfer an andere Standorte zu schaffen. ipn journal no 8 50

· climate literacy in focus · Klub: Wie kann Bewertungskompetenz im Kontext des Klimawandels vermittelt werden? Bewertungskompetenz, also die Fähigkeit, verschiedene Argumente zu einer Fragestellung gegeneinander abzuwägen, sich im Zweifel zusätzli- che Informationen zugänglich machen und schließlich eine informier- te Entscheidung treffen zu können, ist zentral für Climate Literacy. Aus dem Projekt Tube – Tierversuche verstehen und bewerten liegen bereits Ergebnisse und Erfahrungen zur Vermittlung von Bewertungskompe- tenz im Rahmen eines öffentlich umstrittenen Themas vor, die nun auf den Kontext Klimawandel übertragen werden sollen. Gerade bei der Recherche zum Thema Klimawandel sind Schülerin- nen und Schüler mit Informationen aus unzähligen, oft widersprüchli- chen Informationsquellen konfrontiert. Deshalb wollen wir im Projekt Klub – Klimawandel unterrichten und bewerten untersuchen, inwiefern der Umgang mit Unsicherheiten das Bewerten der Schülerinnen und Schüler beeinflusst. Für den schulpraktischen Gebrauch sollen aus die- sem Projekt ein evaluiertes Unterrichtsmodul sowie ein Kriterienka- talog zur Qualitätssicherung von Unterrichtsmaterialien zum Thema Klimawandel hervorgehen. Für die fachdidaktische Bildungsforschung ergibt sich ein erprobtes Instrument zur Messung von Bewertungskom- petenz im Kontext Klimawandel. 51 Mittenzwei, D., Bruckermann, T., Nordine, J., & Harms, U. (2019). The Energy Concept and its Relation to Climate Lit- eracy. Eurasia Journal of Math- ematics, Science and Tech- nology Education, 15(6). Ar- ticle em1703. https://doi. org/10.29333/ejmste/105637 Michel, H. (2020). From local to global: The role of knowled- ge, transfer, and capacity buil- ding for successful energy tran- sitions. (WZB Discussion Paper; No. SP III 2020-603). Wissen- schaftszentrum Berlin für Sozi- alforschung. http://hdl.handle. net/10419/223348 Garrecht, C. (2021). The Pro- motion of Socioscientific Decision-Making – Adressing four Challenges in Science Education Practice and Re- search. Dissertation. Kiel: Christian-Albrechts Universität

· climate literacy im fokus · 3a Kontext: kulturell, politisch, familiär 2a 4 1 Lerngelegenheiten Climate Literacy 5 3c Formale Lerngelegenheiten Non-formale Lerngelegenheiten Bildungs- prozesse Risiko- Klimawissen Fähigkeiten wahrnehmung Einstellungen 3b Klimafreundliches Verhalten Mobilitätsverhalten Konsumverhalten Energienutzung 2b Handlungs- intention Risiko- wahrnehmung Indivi- duelle Effekte Soziale Effekte Globale Effekte Persönlichkeitsmerkmale: Alter, Gender, Bildungsniveau, Umweltschutzengagement, Interesse an Naturwissenschaften, Unsicherheitsintoleranz 2c 1 Im Rahmen des Projektverbunds CLiF wird Climate Literacy durch drei Dimensionen konzeptualisiert. Im Projekt BriCCS wird das Zusammenspiel dieser Dimensionen miteinander untersucht, hierzu werden in Schweden und Deutschland Schülerinnen und Schüler, Lehrkräfte und Bürgerinnen und Bürger zu Wissen, Fähigkeiten und Einstellungen im Kontext Klimawandel befragt. Parallel wird im Projekt Energiewel- tenPLUS mittels einer Delphi-Studie (also einer Expertenbe- fragung in mehreren Runden) erarbeitet, welches fachliche und fachdidaktische Wissen Lehrkräfte mitbringen sollten, um ihren Schülerinnen und Schülern den Klimawandel und die damit zusammenhängenden ökologischen und gesell- schaftlichen Risiken und Veränderungen zu verdeutlichen. 2a Im Projekt BriCCS – Bringing Climate Change to School un- tersuchen wir gemeinsam mit Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern der Universität Karlstad in Schweden, wie sich Authentizität in Begegnungen mit dem Thema Kli- mawandel auf Risikowahrnehmung und Bildungsprozesse auswirkt. Hierzu vergleichen wir zum Beispiel Lerngelegen- heiten, in denen Schülerinnen und Schüler Waldbrandge- biete oder Orte, die durch Überflutung und Meeresspiegel- anstieg bedroht sind, besuchen und so die Folgen des Kli- mawandels direkt erleben, mit solchen, in denen Ursachen und Folgen des Klimawandels eher mittelbar durch Com- putersimulationen und „klassische“ Unterrichtsmethoden vermittelt werden. 2b Risikowahrnehmung ist ein besonderer Schwerpunkt der Arbeiten im Projekt BriCCS. Sie beschreibt, inwieweit Per- sonen die Folgen des Klimawandels langfristig als Risiko für sich selbst, für ihr Umfeld oder unsere Gesellschaft wahr- nehmen. Studien zeigen bislang, dass Risikowahrnehmung sich auf Handlungsintentionen im Kontext Klimawandel auswirkt. Darüber hinaus könnte sie aber auch beeinflus- sen, wie interessiert Schülerinnen und Schüler Lerngelegen- heiten nutzen und wie effektiv sich diese somit auf deren Climate Literacy auswirken. Für die Entwicklung von Risiko- wahrnehmung spielt authentisches Erleben von Risikofakto- ren eine entscheidende Rolle. 2c Durch Interviews mit Personen, die sich aktiv in Klima- schutzgruppen und -organisationen engagieren (z. B. Fri- days for Future), sowie mit solchen, die nicht in Gruppen, ipn journal no 8 52

· climate literacy im fokus · Zuordnung der Einzelprojekte zu den Aspekten des heuristischen Modells im Projektverbund CLiF. aber vielleicht individuell aktiv sind, erforschen wir im Pro- jekt BriCCS Zusammenhänge zwischen Persönlichkeitsmerk- malen, Climate Literacy und klimafreundlichem Verhalten. So wollen wir herausfinden, was Menschen letztlich an- treibt, sich am Klimaschutz zu beteiligen und welche Rol- le dabei Faktoren spielen, die über Bildung beeinflusst wer- den können. im Projekt EnergieweltenPLUS Aus- und Fortbildungsveran- staltungen für (angehende) Lehrkräfte. In diesen wollen wir fachliches und fachdidaktisches Wissen zur Vermittlung von Climate Literacy in formalen und non-formalen Lernkontex- ten vermitteln. Weiterhin soll mithilfe eines selbst entwi- ckelten Testinstruments der Wissensstand von (angehenden) Lehrkräften auf unterschiedlichen Stufen ihres Professiona- lisierungsweges erhoben werden. 3a In Zusammenarbeit mit unserem Kooperationspart- ner, der Klimakommune Saerbeck im Münsterland, wol- len wir in Interviews mit hauptamtlichen und ehren- amtlichen Akteuren der Klimakommune herausfinden, welche Rolle kulturelle, politische und familiäre Eingebun- denheit sowie Climate Literacy für die Beteiligung an der Energiewende spielen. Außerdem untersuchen wir, inwie- fern die Beteiligten sich mit den Maßnahmen der Klimakom- mune identifizieren, also Ownership entwickeln. 3b Die im Citizen-Science-Projekt für die Verkehrswende in Saerbeck entwickelten Lösungen sollen ebenso wie ande- re Best-Practice-Beispiele aus der Klimakommune in einen Handlungsleitfaden einfließen, der anderen Kommunen da- bei helfen soll, ihre eigene Energie- und Verkehrswende zu gestalten. Dabei werden auch die Auswirkungen bisheriger Klimaschutzmaßnahmen in Saerbeck beschrieben. Am IPN erarbeiten wir für diesen Handlungsleitfaden Gütekriteri- en, die sich zu Teilen aus Literaturanalysen zu kommuna- lem Wissenstransfer und aus Expertenbefragungen ergeben. 3c In einem Citizen-Science-Projekt wollen wir in SaerbeckPLUS lokale Lösungen für die Verkehrswende in Saerbeck erar- beiten und dabei auch Lernprozesse der Teilnehmenden verfolgen. 4 In enger Zusammenarbeit mit dem außerschulischen Lern- standort Saerbecker Energiewelten und dem Zentrum für schulpraktische Lehrerausbildung in Münster erarbeiten wir 53 5 Das Projekt Klub – Klimawandel unterrichten und bewerten untersucht, wie in formalen Lerngelegenheiten im Kontext des Klimawandels Bewertungskompetenz vermittelt werden kann. Dr. Hanno Michel ist wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Abteilung Didaktik der Bio- logie. Gemeinsam mit Prof. Dr. Ute Harms koordiniert er am IPN die Projekte SaerbeckPLUS und Ener- gieweltenPLUS und beschäftigt sich dort vor allem mit der Rol- le von Wissen und Wissenstrans- fer für Partizipation im Rahmen der Energiewende. michel@leibniz-ipn.de Dr. Carola Garrecht hat in der Abteilung Didaktik der Biologie am IPN zum Thema „Be- wertungskompetenz im Biologie- unterricht“ promoviert. Als wissen- schaftliche Mitarbeiterin leitet sie das Projekt Klub und koordiniert gemeinsam mit Prof. Dr. Ute Harms die Arbeit des IPN im Projekt BriCCS. Im Zusammenhang mit Climate Literacy interessiert sie besonders die Rolle von Risiko- wahrnehmung, Einstellungen und Bewertungskompetenz. garrecht@leibniz-ipn.de Kathryn Leve ist Doktorandin in der Abteilung Didaktik der Biologie am IPN und wissenschaftliche Mitarbeiterin im Projekt EnergieweltenPLUS. Dort erforscht sie, welche Anforderun- gen die Vermittlung von Climate Literacy an die Lehrkräfteaus- und -fortbildung stellt und wie diese umgesetzt werden können. leve@leibniz-ipn.de Prof. Dr. Ute Harms ist Direktorin am IPN und leitet die Abteilung Didaktik der Biologie. Als Principal Investigator leitet sie die Projekte BriCCS, SaerbeckPLUS und EnergieweltenPLUS, die durch den Schwedischen Wissenschafts- rat, das BMBF und die DBU geför- dert werden. harms@leibniz-ipn.de

Wissenswertes Auf neuen Wegen frühkindliche Entwicklung stärken Kinder treten bereits mit sehr unterschiedlichen Voraussetzungen für eine erfolgreiche Schullaufbahn in das formale Bildungssystem ein. Daran hat ihr Entwicklungsumfeld entscheidenden Anteil. Um Kin- der aus benachteiligten Familien schon im frühkindlichen Lebensabschnitt erfolgreicher als bislang zu unterstützen und zu fördern, müssen neue Wege beschritten werden. Dies ist das Ziel der Bremer Ini- tiative zur Stärkung frühkindlicher Entwicklung (BRISE). Im Jahr 2018 wurde mit der ersten nationa- len BRISE-Fachtagung der Dialog zwischen Wissenschaft, Fachpraxis, Politik und Administration darü- ber angestoßen, wie eine integrierte Politik der frühen Kindheit gelingen kann, in der die beteiligten Leistungsstrukturen kooperativ darauf hinwirken, jedem Kind gute Chancen auf Bildung und Teilhabe zu eröffnen und alle Kinder in ihrer Ent- wicklung zu fördern, zu beteiligen und zu schützen. Neue Wege waren auch für die Fortsetzung dieses Dialoges erforderlich: Statt im Rahmen eines Prä- senzformats wurden im Herbst des vergangenen Jahres in drei Online-Seminaren fokussierte Dis- kussionen geführt, welche die unterschiedlichen Perspektiven zusammenbrachten. Ebenso vielfältig wie die beruflichen Kontexte der Personen in den Panels waren jene der aus dem gesamten Bundesge- biet zugeschalteten Teilnehmenden. Die Beteiligung der Wissenschaft an diesem Dialog ermöglicht es, die Weiterentwicklung von Strukturen der Leistungserbringung an gesicherten Erkennt- nissen über Wirksamkeit auszurichten. So unterstrich Prof. Dr. Olaf Köller, Geschäftsführender Wis- senschaftlicher Direktor des IPN und Sprecher des Forschungsverbunds, welcher die wissenschaftli- che Längsschnittstudie zu BRISE durchführt, dass die frühpädagogische Qualität von entscheidender Bedeutung dafür ist, inwieweit die kindliche Entwicklung positiv beeinflusst wird. Für eine effektivere Förderpraxis, die Disparitäten aufgrund der familiären Herkunft von Kindern wirksamer als bislang be- grenzt, bedarf es geeigneter Maßnahmen, die sowohl Eltern als auch pädagogische Fachkräfte in Ein- richtungen der Kindertagesbetreuung darin unterstützen, den Kindern alltagsintegriert Anregungen für ihre Entwicklung zu geben. Die zu BRISE gehörende Langzeitstudie prüft, inwieweit eine Förder- kette aus derlei Maßnahmen die kognitive, soziale und emotionale Entwicklung von Kindern aus bil- dungsbenachteiligten Familien bis zum Schuleintritt noch effektiver fördert als unsystematisch (oder gar nicht) wahrgenommene Angebote. ipn journal no 8 54

· wissenswertes · Das IPN wird erneut für familienfreundliche Personalpolitik ausgezeichnet Seit vielen Jahren ist das IPN bemüht, Strukturen zu schaffen, die die Vereinbar- keit von Familie, Beruf und Karriere unterstützen. Bereits im Jahr 2006 erhielt das IPN für seine Familienfreundlichkeit das Zertifikat der berufundfamilie Service GmbH. Seitdem stand die Familienfreundlichkeit des IPN alle drei Jahre erneut auf dem Prüfstand. Nach vom Verfahren her vorgese- henen befristeten Zertifikaten erhielt das IPN am 1. Juni 2017 das dauerhafte Zertifikat, das nun bestätigt wurde. Im Laufe der vergangenen Jahre sind am IPN viele Prozesse an- gestoßen bzw. Maßnahmen etabliert worden, die der Vereinbarkeit von Familie, Beruf und Karriere dienen. So wurde zum Beispiel im August 2013 eine Tagesbetreuung für fünf Kinder unter drei Jahren, die IPN-Sprotten, eingerichtet. Außer dieser „sichtbaren“ Einrich- tung gibt es eine ganze Reihe unterstützender Maßnahmen am IPN, die zu einer besseren Vereinbarkeit von Familie, Beruf und Karriere und zu einer familien- freundlich gelebten Kultur am Institut geführt haben. Dieses Maßnahmenbündel führt unter anderem dazu, dass junge Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die während ihrer Qualifikationsphase Eltern werden, ihr Qualifikationsziel wei- ter verfolgen können. Das IPN kann so mit seiner Familienfreundlichkeit punkten, wenn es darum geht, hervorragende Nachwuchswissenschaftlerinnen und -wissenschaftler für das IPN zu gewinnen. Das audit berufundfamilie ist das zentrale Angebot der berufundfamilie Ser- vice GmbH und beruht auf einer Initiative der Gemeinnützigen Hertie-Stiftung. Als strategisches Managementinstrument unterstützt das Audit Arbeitgeber da- rin, die familien- und lebensphasenbewusste Personalpolitik sowie familienge- rechte Arbeits-, Forschungs- und Studienbedingungen nachhaltig zu gestalten. Ein unabhängiges, prominent mit Vertreterinnen und Vertretern aus Wirtschaft, Wissenschaft, Politik und Verbänden besetztes Kuratorium entscheidet über die Erteilung bzw. Bestätigung des Zertifikats zum audit berufundfamilie. Podcast Tonspur Wissen: „Kinder und Jugendliche haben nicht per se Angst vor Mathematik und Naturwissenschaften“ Die Journalistin Ursula Weidenfeld unterhält sich im Leibniz-Podcast Tonspur Wissen mit Prof. Dr. Ilka Parchmann, Direktorin der IPN-Abteilung Didaktik der Chemie, darüber, warum viele Schülerinnen und Schüler vermeintlich Angst vor den mathematisch-naturwissenschaftlichen Fächern haben und wie man Jungen und vor allem Mädchen ermutigen kann, sich mit Mathematik, Technik, Infor- matik und den Naturwissenschaften auseinanderzusetzen. Den Podcast finden Sie hier: www.leibniz-gemeinschaft.de/ tonspur-wissen 55

· impressum · IPN Journal informationen aus dem leibniz-institut für die pädagogik der naturwissenschaften und mathematik Abonnieren Sie das IPN · Journal kostenlos! ipnjournal@leibniz-ipn.de www.leibniz-ipn.de/de/publikationen/ipn-journal erscheinungsweise Das IPN · Journal erscheint zweimal im Jahr. Mit Ausgabe Nr. 9 erscheint das IPN Journal nur noch digital. Abonnentinnen und Abonnenten des IPN · Journals werden per E-Mail informiert, wenn jeweils die neue Ausgabe im Netz steht. ipnjournal@leibniz-ipn.de issn-nr. 2511-9109 Beiträge aus dem IPN · Journal dürfen mit Quellenangabe abgedruckt werden. Das IPN · Journal Nr. 8 wird auf einem FSC- zertifizierten und mit dem EU Ecolabel ausgezeichneten Naturpapier gedruckt und ohne Folienverpackung versandt. herausgeber © 2021 design / gestalterisches konzept / satz Emanuel Kaiser / IPN, Selina Schnetger / IPN, Jan Uhing / IPN, Karin Vierk / IPN grafik@leibniz-ipn.de IPN · Leibniz-Institut für die Pädagogik der Naturwissenschaften und Mathematik lektorat Olshausenstraße 62 24118 Kiel Postanschrift: IPN · 24098 Kiel E-Mail: info@leibniz-ipn.de www.leibniz-ipn.de Vertreten durch das Direktorium: Prof. Dr. Olaf Köller, Geschäftsführender Wissenschaftlicher Direktor Mareike Bierlich, Geschäftsführende Administrative Direktorin Prof. Dr. Ute Harms, Direktorin Prof. Dr. Aiso Heinze, Direktor Prof. Dr. Oliver Lüdtke, Direktor Prof. Dr. Knut Neumann, Direktor Prof. Dr. Ilka Parchmann, Direktorin redaktion Margot Janzen, Knut Neumann, Ute Ringelband ipnjournal@leibniz-ipn.de T 0431 880 - 31 22 Birgit Hellmann, Beate von der Heydt druck nndruck, Kiel bildnachweise Alle Bildrechte liegen beim IPN bis auf folgende: Titel & S.30-34 © sebra (stock.adobe.com); S.4 © BlueSkyImages - stock.adobe.com; S.8 © www.AndriyGoncharenko.com,© Sunday Stock (stock.adobe.com); S.9-14 © nickolae, © EdeStudio (stock.adobe.com); S.15-17 © ll- lonajalll (stock.adobe.com); S.18 © Stanisic Vladimir (stock.adobe.com); S.19 © DAVIDS/ Darmer; S. 24-29 www.wildtierforscher-ber- lin.de (Screenshots), „iPhone 8 Mockup“: CC BY-SA 4.0 (Autor: Rafael Fernandez), © hauptsache.net (Icons); S.35-39 © Lotfi MATTOU(stock.adobe.com); S.40-43 © Cris- tina Bernazzani, © g13dr3 (stock.adobe.com); S.44-53 © Bruno, © Tomas Ragina, © Ramo- na Heim, © Scie Pro, © igorgeiger, © grey, © Tanata Ariyapinyo, © John Smith (stock. adobe.com) ipn journal no 8 56